Die Bilder sind an Stärke nicht zu überbieten: Einmal ist fast die gesamte Bühne in das tiefste Rot getaucht, das die Farbpalette zu geben hat. Nur am oberen Rand ein schwarzer Rahmen. Die Treppen, die irgendwo im Nichts zu beginnen scheinen, haben einen leichten Farbverlauf, und direkt in der Mitte steht Butterfly. Eine Figur, stilisiert wie in einem Scherenschnitt.

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Dann wieder schweben Lampions und Blüten über die Bühne, und Butterflys Kind wird als Puppe von schwarz gekleideten Männern geführt und so zum Leben erweckt, dass man irgendwann die Spieler ausblendet. Im dritten Akt tanzt Pinkerton mit einer Butterfly-Puppe, und während die Oper auf das tragische Finale zurast, verzaubern weiße Tauben das Publikum. Nein, diese Inszenierung von Giacomo Puccinis Meisterwerk ist kein Kitsch, sie ist reinste Poesie, pure Romantik – und sie wird die Opern­premiere des Septembers werden. Eine Geschichte, in der es um die große Erkenntnis geht, dass Liebe alles ist: in der Oper und auch im echten Leben.

Grigorian feiert ihr Debüt in Wien

Asmik Grigorian wird die Butterfly ­singen. Und keine andere Sängerin ist derzeit geeigneter für diese Rolle als sie: aus stimmlichen und auch aus emotionalen Gründen.

Es ist Mitte August. Drei Wochen sind es noch bis zur Premiere am 7. September. Probenzeit unter strengsten Corona-Auflagen. Die Mitarbeiter sind in verschiedene Sicherheitsgruppen unterteilt. Die „Roten“ sind jene, die eng zusammenarbeiten, sich auch körperlich nahe kommen dürfen und daher regelmäßig getestet werden. Zwei zierliche Frauen, mit roten Lanyards um den Hals, stehen eng umschlungen vor dem filigranen Bühnenbild, das vor allem bei Auftritten des Chors eine überwältigende Wirkung erzielt. 

Die ältere führt die jüngere in fließenden Be­wegungen von links nach rechts. „So musst du es machen“, sagt Regisseurin Carolyn Choa zur Star-Sopranistin Asmik Grigorian, die ihr Rollendebüt in Wien geben wird. 

Asmik Grigorian wurde geboren, um diese Titelrolle zu spielen.

Regisseurin Carolyn Choa über Asmik Grigorian.
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Später wird Choa im BÜHNE-Talk über die Sängerin sagen: „Asmik Grigorian wurde geboren, um diese Titelrolle zu spielen, und es ist für mich aufregend, dass wir ihr außergewöhnliches Talent hier in Wien mit dem Publikum teilen dürfen.“

Der Hollywood-Regisseur Anthony Minghella („Der englische Patient“ und „Der talentierte Mr. ­Ripley“)­ hat diese meisterhafte Regiearbeit gemeinsam mit seiner Frau Carolyn Choa ein Jahr vor seinem Tod 2008 geschaffen – sie wird die „Butter­fly“-Produktion aus dem Jahr 1957 aus dem Programm kicken. Es ist ein klares Statement von Bogdan Roščić, der auf eine Grunderneuerung des Reper­toires setzt. Der Neo-Direktor zur BÜHNE: „Wir machen ja viel Eigenes, Neues, in der nächsten Spielzeit und in den kommenden sowieso. Aber wir holen 2020/21 eben auch einige exemplarische Inszenierungen ans Haus, die einst Geschichte geschrieben haben. Nur so schaffen wir, finanziell wie von der ganzen Planung her, eine so schnelle Erneuerung unseres Kernangebots.“ 

Asmik Grigorian singt in der Wiener Staatsoper Madama Butterfly.
Asmik Grigorian singt in der Wiener Staatsoper Madama Butterfly.

Foto: Lukas Gansterer

Die Sopranistin und Corona

In jeder Geste, in jeder Regieanweisung merkt man Choa die Freude an, endlich wieder arbeiten zu können: „Nachdem ich im Lockdown fast die ganze Zeit mit meiner Katze verbracht habe, ist es eine wahre Freude, hier an der Staatsoper neue Kollegen zu treffen. Es ist ein seltenes Privileg, auf dieser historischen Bühne tätig zu sein, und ich kann den Kollegen hier in Wien nicht genug danken, dass sie alles versuchen, um die Arbeit hier so sicher­ wie möglich zu gestalten.“

Asmik Grigorian hat die Krankheit bereits überstanden: „Zuerst dachten wir, es sei eine Allergie, dann kam der positive Test. Ich habe mich extrem schwach gefühlt und konnte weder riechen noch schmecken. Aber ich habe mich zum Glück wieder vollständig erholt.“ 

Philippe Jordan dirigiert Madama Butterfly

Unten im Parkett sitzt Philippe Jordan, der neue Musikdirektor des Hauses, der die Premiere dirigieren wird und der nach der zweiten Auf­führungs­serie den Dirigentenstab an Joana Mallwitz weiter­geben wird. Neben ihm Bogdan Roščić – er hat Jordan aus Paris wegengagiert: „Mit ­Philippe bespreche ich buchstäblich alles. Es ist ­beeindruckend, was für einen Aufschwung die ­Pariser Oper in seiner Zeit genommen hat – ebenso die spektakuläre Entwicklung der Wiener Symphoniker.“

Nach der Probe treffen wir (mit Masken geschützt und mit dem verordneten Mindestabstand) Asmik Grigorian. Drei Stunden hat sich die Litauerin Zeit für die BÜHNE genommen. Privat trägt sie kurze Jeansshorts, darüber einen weißen Tüllrock, dazu Dr. Martens. Sie erinnert an eine Mischung aus Cyndi Lauper und Madonna. „Falsch“, sagt sie, „was Sie sehen, ist einfach Asmik.“ Fotografiert will sie so aber nicht werden. 

Ihre Darstellung der Salome vor zwei Jahren schlug in der Opernwelt ein wie eine Bombe: „A star is born“, titelte das Feuilleton und katapultiere die Grigorian in die internationale A-Liga.

Für mich sind Sänger Athleten. 

Anthony Minghella

„Für mich als Sängerin hat sich gar nichts ver­ändert. Ich tue das, was ich in den vergangenen fünfzehn Jahren auch gemacht habe, nämlich konse­quent und hart an mir zu arbeiten. Was sich verändert hat, ist mein Status. Mir eröffnen sich seither ganz andere Möglichkeiten. Manchmal fühlt sich das komisch an, weil alles so schnell gegangen ist, dass ich gar keine Zeit hatte, es richtig zu verarbeiten.“

Sie und ihr Pinkerton – dargestellt von Freddie De Tommaso – sind aufgrund der Inszenierung nicht nur als Sänger, sondern auch als Schau­spieler gefordert. Anthony Minghella wollte es so: „Für mich sind Sänger Athleten.“ 

Die 39-Jährige singt ab September die Madama Butterfly.

Foto: Lukas Gansterer

Peter Brook als Inspiration

Carolyn Choa erzählt, wie die Idee zur Inszenierung bereits vor Jahrzehnten entstand: „Als Studenten waren Anthony und ich beide sehr stark von Peter Brooks ,The Empty Space‘, einem Klassiker, sowie von Grotowskis ,Towards a Poor Theatre‘ beeinflusst worden. Die Basis ihrer Produktionen beruht in der Regel fast ausschließlich auf den Fähigkeiten der Darsteller – nicht nur, um die Geschichte zu erzählen, sondern um interne und externe Landschaften zu zaubern.“

Eine Aufgabe, die von Asmik Grigorian hohen schauspielerischen Einsatz fordert: „Ich habe zum Beispiel noch nie eine Butterfly gesungen, in der ich tatsächlich eine Japanerin spielen musste. Aber der Zugang zu dieser Rolle ändert sich stetig, weil sie mit mir wächst. Ich spiele Cio-Cio-San heute
ganz anders als noch vor zwei oder drei Jahren. Sie ist eine starke Frau, die mit ihrem Kind bis zum Schluss durchhält. Wenn du Kinder hast, steht das Muttersein immer an erster Stelle. In der Oper ist natürlich die Liebesgeschichte wichtiger, also versuche ich mich mehr darauf zu fokussieren.“

Opern-Shootingstar Asmik Grigorian am Dach der Wiener Staatsoper.

Foto: Lukas Gansterer

Westliche und der fernöst­liche Welt im Mix

Ein zweiter zentraler Inhaltsstrang ist das Aufeinanderprallen der westlichen und der fernöst­lichen Welt. Diesen hat Regisseurin Choa für sich und das Publikum erweitert: „Der in der Oper dargestellte Kulturkampf findet zwischen Japan und den USA statt, aber wir alle wissen, dass Unterschiede in Bildung, Erziehung oder Kindheit auch zu einer Art Kulturkampf führen können – selbst zwischen Menschen, die in derselben Stadt ge­boren wurden! Vielleicht kann diese Erzählung als Metapher für alle Beziehungen angesehen werden, in denen die Absichten eines Partners vom anderen missverstanden werden.“

Asmik Grigorian selbst hat eine sehr persön­liche Beziehung zur Butterfly: „Meine Mutter hat die Rolle gesungen, als sie mit mir schwanger war. Mein Vater ist als Pinkerton an ihrer Seite gestanden, und ich habe später das Kind gespielt. (Ihr ­Vater war der armenische Tenor Gegam Grigorian, ihre Mutter ­Irena Milkevičiūtė ist eine litauische Kolo­ratursopranistin, Anm. d. Red.) Für mich bedeutet die Oper ‚Butterfly‘ Gefühle und Emotionen, Hoffnung und Stärke, Liebe und Schmerz – und nicht zuletzt wundervolle Musik.“ 

Die litauische Opernsängerin war 2019 Sängerin des Jahres in der Kritikerumfrage der Opernwelt.

Foto: Lukas Gansterer

Der Druck auf sie und das ganze Team ist enorm – ­immerhin sind sie es, die die Oper nach der langen Corona-Pause wiedereröffnen werden. Asmik Grigo­rian antwortet nachdenklich: „Wenn ich im September eröffne, dann nicht nur für mich und das Wiener Publikum, sondern auch für Bogdan Roščić. Ich bin so dankbar für seine Wertschätzung und seinen Respekt.“ 

Wir verabschieden uns. 

Oper als Auszeit

Die Sängerin muss noch ein Geschenk für ihre Tochter kaufen. Einen Gedanken will sie noch anbringen: „Wissen Sie, ich liebe meine Arbeit, weil das die einzige Zeit ist, wo ich ganz für mich ­allein bin. Unlängst hat mich jemand gefragt, was ich an der Oper am meisten liebe. Ich habe im Scherz geantwortet, dass ich hier allein aufs Klo gehen kann.“ 

Madama Butterfly in fünf Sätzen
Der US-Leutnant Pinkerton heiratet in Nagasaki die Geisha Cio-Cio-San – nach damals tolerierter Sitte – für eine kurze Zeit: Was für ihn kaum mehr als ein Zeitvertreib ist, ­bedeutet für sie die große Liebe. Nach seiner Abreise wartet sie lange auf seine Rückkehr: Als er endlich wiederkehrt, muss Cio-Cio-San, die ihm einen Sohn geboren hat, erkennen, dass er erneut geheiratet hat. Aus Verzweiflung tötet sie sich: „Ehrenvoll zu sterben, wer nicht länger in Ehren leben kann.“

„Madama Butterfly“ ab 7. September in der Wiener Staatsoper