Rezept gegen Rezept. Die Idee für diesen Tauschhandel hatte Theater­betriebsärztin Lilli Nagy während des ersten Lockdowns. Die Arbeitsmedi­zinerin betreut das Theater in der Josefstadt, die dazugehörigen Kammerspiele, das Burg- und das Volkstheater. „Die Schauspielerinnen und Schauspieler kommen mit der ganzen Bandbreite: von kleinen Wehwehchen über Lampenfieber vor den Vorstellungen bis hin zu Verletzungen bei den Proben. Daraus ergibt sich oft ein Vertrauensverhältnis“, sagt Nagy. So verwundert es nicht, dass ihr die Künstlerinnen und Künstler private Details aus ihrem Alltag im Lockdown am Telefon erzählten. Eines fiel sofort auf: Viele glichen den kreativen Stillstand auf der Bühne mit gesteigerter Inspiration in der Küche aus.

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Theaterlegende Elisabeth Orth erfand zum Beispiel ihren eigenen „Quarantäneauflauf“: Tsatsiki mit Nudeln. Selbst essen würde sie das zwar nicht, jedoch „dem Trump servieren“. Peter Simonischek lieferte gleich eine kleine Beichte zum Linsensuppenrezept: „An spielfreien Tagen gebe ich einen Schuss Gin dazu.“ 

Doch nicht nur Schauspieler, auch Musiker, Portiere, Dramaturgen und Reinigungskräfte beteiligten sich. „Man weiß ja, dass Theaterleute kreativ sind“, sagt Nagy. Aber das Resultat habe die Ärztin schon überrascht. Illustra­tionen, wunderschöne Handschriften, Fotos und Farben: Die Mitmachenden teilten ihre Rezepte mit viel Kreativität und Liebe.

Schnörkellos bis illustriert

Ein Ranking ihrer Lieblings­einsendungen mag Theaterärztin und Kochbuchherausgeberin Lilli Nagy nicht machen. Denn, so erzählt sie: „Es gibt auch Leute, die schreiben mit wunderschöner Handschrift, wollen aber kein Foto, keine Zeichnung. Sie haben es lieber geradlinig, klar, ohne Schnörkel.“

Einige Theaterleute nehmen die Leserinnen und Leser mit auf Reisen, die sich im Lockdown nur im Kopf abspielen sollten. Schauspielerin Alma Hasun bringt zum Beispiel einen Hauch von Frankreich mit ihrer Karotten-Ziegenkäse-Quiche ins Spiel.

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Bei Nikolaus Habjan kochen die Puppen

In Nikolaus Habjans Küche kocht Dipl.-Ing. Bernhard Schwingenschläger, kurz Herr Berni. Die Puppe stammt aus Habjans allererstem Stück „Schlag sie tot“ aus dem Jahr 2008. Bernis Kopf musste aufgrund des häufigen Gebrauchs zwar schon restauriert werden, er steht trotzdem noch manchmal auf der Bühne: zum Beispiel als „Der Herr Karl“ im gleichnamigen Stück am Wiener Burgtheater.

Kulinarisch geht es in der Küche von Habjan und Berni deftiger zu: Es gibt Brambory (so heißen Erdäpfel auf Tschechisch) mit vorgekochtem Rindfleisch. Schwerere Kost auch Habjans letzte Regiearbeit: „Der Leichenverbrenner“ von Franzobel nach dem Roman von Ladislav Fuks im Wiener Akademietheater. 

Kulinarischer Trost

„Corinna ist doof“ – mit diesem Foto von einem Kinderspielplatz bebilderte Schauspieler Peter Knaack (bis zur letzten Saison im Ensemble des Burgtheaters) seine Taglierini mit frischem Spargel und Morcheln. Statt Corinna kann man sich hier ruhig Corona denken, meint Lilli Nagy. Sein Rezept wirkt wie ein kulinarischer Trost. „Wenn die Menschen in Zeiten einer Pandemie Abstand wahren sollen, kommt es leicht zu Unterkühlungen.“ Dagegen helfe Pasta, so Knaack. Vor allem, wenn sie in Butter geschwenkt wird. 

Überhaupt stehen Gesundheitsaspekte oder Trends nicht im Vordergrund der Rezepte der Theaterleute. Burgtheater-­Schauspieler Hermann Scheidleder teilt zum Beispiel seine Fleischlaberln mit gerösteten Zwiebeln und Püree. Seine Fami­lie mütterlicherseits kommt aus Rumänien: Seine Mutter und seine sechs Tanten kochten alle herrlich, schreibt er.

Viele Rezepte dürfen ruhig als Inspiration gesehen werden und laden zur eigenen Interpretation ein. Detaillierte Angaben sind ja etwas für Fantasielose. So rät Schauspieler Christoph Franz Krutzler für die Zubereitung des Teigs seiner „köstlichen Grammelpogatscherl“ lakonisch: „Der Vorgang findet ein natürliches Ende.“

Martin Vischer vom Theater in der Josefstadt setzte sich mit seinem Sohn Arthur hin und zeichnete ein Rezept für grünen Spargel auf italienische Art im Backrohr. „Er kam fast ohne Worte aus, aber es ist so gut gezeichnet, dass jeder nur durchs Hinschauen versteht, wie es funktioniert“, sagt Nagy.

Lilli Nagy: „My stage is my kitchen“

W. Pfeifenberger Verlag
146 Seiten und 125 Bilder
34,90 Euro

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