Floral skulptural: Die Gestaltung der neuen Blumenkünstler:innen
Zwischen opulenter Inszenierung und stiller Fragilität: wie moderne Blumenkünstler:innen Gestaltung neu definieren, florale Trends setzen und warum die jahrhundertealte Ikebana-Kunst als meditativer Gegentrend neue Wurzeln schlägt.
NEUE WEGE IN DER FLORISTIK
Blumen sind symbolgeladen, prachtvoll und vergänglich. Genau das macht sie so faszinierend. In den Händen einer neuen Generation werden sie nun zu einem Medium kreativer Ausdruckskraft. Denn abseits der klassischen Bindekunst geht die moderne Floristik heute neue Wege: Orchideen, Pfingstrosen oder die lange unterschätzte Nelke erhalten ein neues Image. Klassische Straußformen werden aufgelöst, Pflanzen schweben von der Decke, Blüten erscheinen seziert und fragmentiert
in überraschenden Konstellationen. Der Grund? Viele der heutigen Gestalter:innen, wie Ruby Barber oder Harriet Parry, haben einen künstlerischen Hintergrund, so auch die Britin Rebecca Louise Law, die mit botanischen Materialien immersive Kunstinstallationen kreiert. »Jeder Raum ist Bühne – jede Person anders. Die Gestaltung verbindet beide«, erklärt Andreas Bamesberger vom Wiener Atelier Zweigstelle. Seine Arbeiten reichen von blühenden Szenografien bis zu luftigen Tischarrangements, abgestimmt auf Menschen und Orte.
BUNTE AVANTGARDE
Vor etwa zehn Jahren begannen Blumenkünstler:innen wie etwa Sophia Parker (Wife NYC) oder Brittany Asch (BRRCH) in Metropolen wie New York und Los Angeles, das Handwerk neu zu denken. Statt üppiger Gestecke entstanden konzeptuelle Gebinde und pflanzenbasierte Kompositionen. Gleichzeitig zog die florale Ausstattung in Museen, Editorials und Concept Stores ein und damit in den Kunst- und Designkontext. »Floristik ist stark beeinflusst von Farbwelten aus der Mode und Architektur«, weiß Bamesberger. Und genau diese Optik prägt heute die Bildsprache. »Meine Arbeiten sind deutlich abstrakter und ambitionierter geworden«, bestätigt auch Ruby Barber, Gründerin des Berliner Studios Mary Lennox, und führt weiter aus: »Stärker denn je stehen die aktuellen Konzepte im Zusammenhang mit Raumgestaltung und Experience Design, zudem sind sie multidisziplinärer.«
Fast gemalt
Gabriela Salazar aus Mexiko lässt sich von ihrem Garten in Valle de Bravo zu romantischen, üppigen Kompositionen inspirieren.
lamusadelasflores.com
DER BLUMENWEG
Zu dieser globalen Entwicklung tragen die sozialen Medien maßgeblich bei: Der Hashtag #floraldesign zählt über zehn Millionen Beiträge (Stand 2025) – darunter surreale Pflanzen, barocke Bouquets und eine Prise Rosen-Romantik. »Instagram ist für mich zugleich ein kreativer Resonanzraum und ein verbindendes Werkzeug, es öffnet Türen und inspiriert«, so Ikebana-Meisterin Ayako Shida, die mit Sogetsu-Kompositionen zwischen Tradition und Zeitgeist arbeitet. Für Ruby Barber ist die Plattform eine digitale Visitenkarte. Einen Klick weiter bespielen Sophia Moreno-Bunge (Studio Isa Isa, Los Angeles), Watarai Toru aus Tokio, Glenn Arvor, Chefflorist bei Métaphore Floral Design in Hanoi, goshá flowers aus Dubai, Shannon Clegg mit biophilen Entwürfen oder Gabriela Salazar alias La Musa de las Flores aus Mexiko ihre Accounts mit How-to-Reels und farbexplosiven Blumensträußen.
Parallel zur opulenten Ästhetik westlicher Blumendesigner:innen findet Ikebana immer mehr Beachtung. In Japan sagt man, es gebe über 300 verschiedene Stile dieser fast 1.500 Jahre alten Kunstform, die sich in spezifischen gestalterischen Haltungen, etwa im Umgang mit Reduktion, Raum oder Bewegung, voneinander unterscheiden.

Ausgewogen
Die Japanerin Ayako Shida, seit 2022 Sogetsu-Meisterin, vereint traditionelle Ikebana-Prinzipien mit modernen Designs.
ikebanasuiryu.com

Luftig
Durch Ruhe statt Dekorationslärm und Überlegung statt Zufälligkeit entfaltet sich die Schönheit der Pflanzen.
zweigstelle.com
So verdichtete der Satz »Die Blume ist der Mensch«, geprägt vom Gründer der Sogetsu-Schule, einer avantgardistischen Strömung der 1920er-Jahre, die Philosophie, wonach florale Arrangements Ausdruck von Persönlichkeit, Emotion und Moment sein können. »Die Verbindung zwischen Mensch und Natur ist sehr tief und emotional«, so Ruby Barber.
Ikebana lädt dazu ein, sich intensiv mit jedem einzelnen Pflanzenteil auseinanderzusetzen, um so sein Innerstes sichtbar zu machen. Es ist eine lebendige Kunstform, heute inspiriert vom kulturellen Austausch. Diese Offenheit prägt auch meine Herangehensweise.
NEUE ÄSTHETIK
Was sich heute als florale Bewegung zeigt, ist mehr als ein dekorativer Wandel. Es ist Ausdruck eines kollektiven Wunsches nach Sinnlichkeit und Naturverbundenheit. Ob als meditatives Vasengesteck oder als dramatische Rauminstallation, Blumen sprechen uns im Hier und Jetzt an, spenden Trost und Freude. Blumenkunst wird zum State of the Art, digital wie real.
Glenn Arvor, Chefflorist bei Métaphore in Hanoi, kombiniert französischen Stil mit vietnamesischem Flair und vereint dabei Blumen, Obst und Gemüse. metaphoreflowers.comFür alle Blumenliebhaber
sind hier die Highlights des Chelsea in Bloom Festivals in London.