Die neue Leichtigkeit: Italiens Design Newcomer
Von Mailand bis Sizilien formiert sich eine junge Generation italienischer Designer:innen, die Wohnkultur nicht nur neu gestaltet, sondern neu denkt. LIVING hat mit sechs Newcomer:innen gesprochen, die diese Bewegung prägen.
Millim Studio
Millim Studio
Das sind Chiara Pellicano und Edoardo Giammarioli, die in Rom aus Materialresten charakterstarke Möbel entwerfen. Aus Blech- und Marmorabfällen werden Unikate, die vom Wert des Übersehenen erzählen. Sie arbeiten mit Galerien und Marken in Italien und im Ausland zusammen.
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Italien gilt zu Recht als die Wiege des guten Geschmacks. Doch die junge Generation, die heute aus den Designstudios rund um Mailand oder Rom hervortritt, schreibt ihre eigene Geschichte: Nicht Ikonen stehen im Fokus, sondern narrative Materialien, nachhaltige Prozesse und eine stille, aber kraftvolle Ästhetik. Ihre Entwürfe erzählen von Sinnlichkeit ohne Prunk – und davon, wie das Dolce Vita in zeitgenössischem Glanz neu aufleuchtet: als Haltung, nicht als Klischee.
KREATIVE MATERIALFORSCHER:INNEN
»Wir betrachten das Objekt nicht als Endpunkt, sondern als vorläufiges Ergebnis einer Forschung, die den Sinn der Herstellung, die Formen der Zeit und die Entwicklung des Denkens hinterfragt«, erklärt Chiara Pellicano, die mit ihrem Partner Edoardo Giammarioli das Designstudio Millim in Rom gegründet hat. Das kreative Duo, für seine Arbeiten bereits ausgezeichnet, erschafft neues Design aus alten Materialien.
»Jedes Stück Abfall ist immer auch Teil einer Geschichte«, sind die beiden überzeugt. »Unser Weg basiert auf dem Aufbau einer Sprache, die eine Vision zum Ausdruck bringt, die aus Beziehungen besteht – mit unserer Geschichte, mit der Region, mit dem, was uns tief bewegt: Materie, Entwicklung, Intuition.« Tatsächlich spürt man in den Objekten von Millim – darunter fragile Tischleuchten aus Recyclingglas oder modulare Skulpturen aus Altholz – ein stilles Echo vergangener Zeiten, das in die Gegenwart hineinragt. So gesehen entwerfen Pellicano und Giammarioli keine Dinge, sie eröffnen Dialoge. Dass ihr Studio mitten in Rom liegt, scheint ebenso kein Zufall. Wo quasi aus jedem Pflasterstein die Historie spricht, findet auch Gestaltung eine tiefere Dimension.
Francesca Lanzavecchia
Francesca Lanzavecchia
aus Pavia entwirft Möbel, Leuchten und Alltagsobjekte für Marken wie Zanotta, De Castelli oder Hermès. Ihre Arbeiten verbinden präzise Funktion mit poetischer Erzählung – von adaptiven Stücken für ältere Menschen bis zu textilen Objekten mit emotionalem Mehrwert.
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An diese Philosophie knüpft Francesca Lanzavecchia aus Pavia an, deren Arbeiten die Wechselwirkung zwischen Funktion und Poesie suchen. Sie studierte Industrial Design in Mailand und Conceptual Design in Eindhoven. Zu ihren jüngsten Entwürfen zählen etwa »Yori-Kiri« für Zanotta – ein kühner Loungesessel, der plüschigen Komfort mit skulpturalem Flair verbindet, oder das geschwungene, raumteilende Bücherregal »Trama« für Loro Piana. »Jedes Projekt entspringt dem Wunsch, Staunen im Alltäglichen zu erwecken, Momente der Poesie zu schaffen, die man anfassen, benutzen, erleben kann.« Ihre Entwürfe seien immer das Produkt vieler Hände und vieler Köpfe: »Sie entstehen aus der Begegnung von Handwerk und Technik, Wissenschaft und Emotion und werden von Intuitionen genährt«. Lanzavecchias besondere Gabe liegt in ihrer Fähigkeit, sich auf natürliche Weise zwischen verschiedenen Welten zu bewegen – »zwischen der visionären Kraft des Geschichtenerzählens und der Konkretheit der Herstellung, zwischen immersiver Installation und akribischem Detail, zwischen Kunst, Industrie und Mode«.
Giuseppe Arezzi
Giuseppe Arezzi wiederum lässt sich für seine Arbeiten von der Architektur und den Naturformen inspirieren. Von seinem Atelier in Ragusa aus entwirft er ebenso einzelne Objekte wie komplexe Installationen und ganze Innenräume, die von einer ruhigen Kraft geprägt sind. »Ich interessiere mich für die zeitgenössische Neuinterpretation von funktionalen Archetypen, die nicht mehr gebraucht werden, für die Bewahrung von Handwerkstraditionen und für die Themen Wandlungsfähigkeit und Multifunktionalität.« Dabei strebt er immer eine globale Sprache an: »Meiner Meinung nach ist das ist für jede:n, die:der heute Design macht, unerlässlich.«

Giuseppe Arezzi
lässt sich von Architektur und Naturformen inspirieren. Mit einem Fokus auf Multifunktionalität entwirft er sowohl Objekte als auch ganze Innenräume. Zu seinen Arbeiten gehören die prämierte Liege »Brando« sowie etwa das Bett »Velario«, Edition Lispi, das durch ruhige, aber kraftvolle Ästhetik besticht.
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Alessandro Stabile
Während Arezzi Design-Archetypen ins Heute überführt, seziert Alessandro Stabile bestehende Normen – und setzt an ihre Stelle neue, klügere Systeme. In seinen Entwürfen untersucht er Bauprinzipien und formale Typologien, um sie funktional, technisch und ästhetisch weiterzudenken. Das »Tacito Sideboard« für Magis etwa verzichtet auf klassische Scharniere, im »OTO Chair« gelingt ihm eine radikale Neuerfindung des Kunststoffstuhls – montagefrei, kreislauffähig und in einer Form gegossen, die Energie und CO₂ spart. Auch die Wasserflasche »Away« für Alessi oder der Sessel »Taco« für LaCividina folgen diesem Prinzip. »Zu Beginn eines jeden Projekts stelle ich alles in Frage, was Standard ist, um es zu übertreffen. Das bedeutet für mich auch, dass ein Produkt zum fairen Preis und mit einer Ästhetik herauskommt, die von allen leicht verstanden wird.« Stabiles Studio agiert multidisziplinär – zwischen Produktdesign, technologischer Innovation und strategischer Beratung.

Alessandro Stabile
gehört zu den innovativsten Gestaltern seiner Generation. Für Marken wie Magis, Alessi oder LaCividina entwickelt er in Mailand clevere, nachhaltige Designlösungen – vom modularen Sideboard bis zum flach verpackten Recyclingstuhl. Seine Handschrift: technisch präzise, funktional durchdacht, gestalterisch klar.
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Maddalena Selvini
Maddalena Selvini nähert sich dem Design aus einer tiefen Spontaneität. »Meine Herangehensweise ist stark von der Veränderung der Materie abhängig, wenn sie bestimmten Bedingungen ausgesetzt wird«, sagt sie. Ihre Projekte entstehen meist als Kollektionen, etwa die Gefäße der Serie »S-Pot« aus Speckstein oder »Feel Felt«, ein Werk, das Wolle in Filz verwandelt. »Es geht mir nicht nur um die Materialien der Erde, sondern auch um die unbewussten Gesten des täglichen Lebens.«

Maddalena Selvini
ist eine Mailänder Designerin, die mit Materialien wie Speckstein und Wolle experimentiert. Ihre Kollektionen wie »S-Pot« und »Feel Felt« entstehen aus der
intensiven Auseinandersetzung mit Materialeigenschaften und Handwerkstechniken.
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Riccardo Toldo
Noch einen Schritt weiter geht Riccardo Toldo indem er die Sprache der Technologie mit der Empfindung des Menschen vereint. »Ich möchte eine Brücke zwischen dem Komplexen und dem Sensiblen sein, zwischen der Intelligenz der Maschine und der des Herzens«, sagt er. Toldo entwickelt Lichtobjekte, die mehr als den Raum erhellen – sie schaffen Atmosphäre und emotionale Resonanz. All diese Newcomer:innen Italiens definieren das Design von morgen. Mit ihren Arbeiten brechen sie mit Konventionen, eröffnen neue Perspektiven und zeigen, wie Nachhaltigkeit, Sinnlichkeit und Funktionalität harmonisch mit lebendiger Realität verschmelzen.

Riccardo Toldo
aus den Dolomiten begann als Schreiner und verbindet heute handwerkliche Präzision mit Hightech. Herausragend sind seine Lichtobjekte, aber auch die Pool Tables »Decotech« und »Mirror«. Er ist stets auf der Suche nach technologischen Innovationen, »die in menschliche Visionen
umgesetzt werden«.
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