Boutiquehotels: Haute Couture des Innendesigns
Natürlich sind Ausstellungen im Museum beeindruckend. Aber nichts ist schöner, als auch im Alltag von Kreativität und Kunst umgeben zu sein. Gerade im Urlaub möchte man sich inspirieren lassen. Das geht nirgendwo besser als in Boutiquehotels, die bis ins kleinste Detail liebevoll kuratiert sind.
»Diese Brioches sind mein Untergang«, scherzt Hotelière Helena Ramsbacher: »Wir machen sie täglich frisch in unserer Hotelbäckerei im ›Lemongarden‹.« Eigentlich wollten wir uns über die Designphilosophie ihrer vier Boutiquehotels »Lemongarden« in Kroatien, »Schloss Seefels« am Wörthersee, »Knappenhof« in Reichenau an der Rax und »Tyrol« im Herzen von Wien unterhalten, aber plötzlich sind wir bei hausgemachten Marmeladen, köstlichem Zitroneneis und frischem Wasser aus der eigenen Quelle.
Für andere mag Design beim edlen Tafelbesteck aufhören, für die kunstaffine Hotelière aber geht es um weit mehr. Ihre Hotels sind Gesamtkunstwerke, da passen die Farben und Muster der Stoffe auf den Sofas zu den Zitronenbäumen im Garten. Da werden die Croissants ebenso liebevoll kuratiert wie die imposante Kunstsammlung an den Wänden. Jedes Hotel ist einzigartig, und doch verbindet alle vier etwas: Sie wurden nicht am Reißbrett entworfen. Sie bedienen keinen Allerweltsgeschmack aus fadem Grau und Beige. Im Gegenteil: Sie beweisen Mut zur Farbe, mehr noch, zur Persönlichkeit. »Ich bin ein bunter Vogel, Farbe ist für mich Lebensfreude, die man benötigt, um gerade in schwierigen Zeiten aus dem Alltag auszusteigen und neue Kraft zu tanken. Hotels brauchen eine Aura, eine spezielle Atmosphäre, um sich sofort zu Hause zu fühlen«, sagt Ramsbacher.
Erweitertes Wohnzimmer
Die Chance ist groß, Ramsbacher in einem ihrer Hotels anzutreffen. Sie wohnt phasenweise sogar dort. Im Winter mache sie einen kurzen Urlaub, betont sie, im Sommer aber seien ihre eigenen Hotels einfach zu schön, um fremdzugehen. Wahrscheinlich fühlt man sich auch deshalb wie auf Urlaub bei Freunden. Die Prachtbauten sind erweiterte Wohnzimmer der Gastgeberin. Kunst und Design sind auf eine entspannt selbstverständliche Art und Weise überall präsent. Sie inspirieren, ohne dass man sich anstrengen müsste.
Haute-Couture-Design
Nehmen wir das »Schloss Seefels«, das allein aufgrund der perfekten Lage direkt am Wörthersee punktet. Aber auch die Ausstattung liest sich wie ein Who’s who der Interiorszene: In den 67 lichtdurchfluteten Zimmern und Suiten stehen Sofas von Bielefelder Werkstätten, Wittmann, hochwertige Betten von Tréca, kunstvolle Lampen aus Murano-Glas. Es wurden Stoffe und Tapeten von Christian Lacroix, Casamance, Pierre Frey und Manuel Canovas verwendet. Serviert wird auf einem besonderen Porzellan aus der Manufaktur Augarten, das speziell für das »Schloss Seefels« entworfen wurde. Um es in der Sprache der Mode auszudrücken: Wo viele Hotels bloß ready-to-wear sind, setzt man hier auf Haute Couture. Alles ist maßgeschneidert, nichts von der Stange. Auch im »Tyrol« fängt der Tag mit eleganter Tischkultur an: Das Goldbesteck ist von Pinti 1929, die mundgeblasenen Gläser von Lobmeyr. Und natürlich werden Stoffservietten gereicht.
Pop-Art-Highlights
Die Kunst an den Wänden profitiert von den starken farblichen Akzenten durch die Möbel. Sie tritt in einen Dialog mit dem Ort, muss sich beweisen in ihrer Intensität. Die Werke der Kärntner Pop-Art-Künstlerin Kiki Kogelnik passen da perfekt. Eine große Schau hat im Vorjahr im Wiener Kunstforum die Formenvielfalt und innovative Kraft dieser 1997 verstorbenen Künstlerin einer jungen Generation zugänglich gemacht. Die Ausstellung war ein Hit, die Kritiken euphorisch: »Poppig, kritisch, knallig«, schwärmte der »Standard«. Ramsbacher hat ein gutes Händchen bei der Auswahl bewiesen. »Es hat mich nie interessiert, was im Trend liegt, was im Wert steigern könnte«, erzählt sie: »Ich habe vereint, was meine Seele anspricht.« Früher habe sie Kunstakademien besucht, sei bis nach Zagreb gefahren, um sich Werke von Nachwuchstalenten anzusehen.
Kunst als Lebensfreude
Die Sammlung kann sich sehen lassen: Xenia Hausner, Hermann Nitsch, Gunter Damisch, Markus Prachensky und die gefeierte Maria Lassnig machen die Hotels zu bewohnbaren Museen. Aber auch Georg Baselitz mit seinem wuchtig-archaischen Pinselstrich und seinen am Kopf stehenden Porträts ist vertreten. Von dem deutschen Malerfürsten Markus Lüpertz hängt ein expressives Parsifal-Gemälde in der Hotellobby im »Schloss Seefels«. Die Kunstwerke im Schloss wurden beispielweise aus 6.000 Werken der Haselsteiner-Familiensammlung von Helena Ramsbacher persönlich ausgewählt. Gibt es eine kuratorische Linie, welche Kunstwerke in den Hotels präsentiert werden? »Die Bilder sollen Lebensfreude ausstrahlen«, sagt sie. Alles müsse harmonisch abgestimmt sein, das erfordere viele Zeit und Leidenschaft. Allein um alle Artefakte für das »Schloss Seefels« auszuwählen, habe sie sechs Monate gebraucht. Besonders freut sie, wenn ihre Gäste – viele davon kommen regelmäßig – mit ihr ins Gespräch kommen über Kunst und Design. Und inspiriert wieder abreisen.
Mut zum Muster
Leuchtende Farben, knallige Muster und Mut zum Eklektizismus boomen – insofern war Ramsbacher mit ihrer kreativen Handschrift, die sich in keine Schublade stecken lässt, ihrer Zeit voraus. Der Interiortrend »Dopamine Decor« spricht auf TikTok gerade Millionen Follower an, die den neuen Maximalismus feiern und genug von langweiligen, funktionalen Einrichtungen haben. »Gerade in Phasen der Krise brauchen wir ein Gegengewicht«, analysiert die Trendforscherin Oona Horx Strathern. Dafür gibt es sogar wissenschaftliche Grundlagen. »Aus neurologischer Sicht ermöglicht uns Playfulness, neue Perspektiven zu gewinnen, mehr Kreativität und neue Denkweisen zu entwickeln. Sie holt uns aus unserer Routine, überrascht uns und erschüttert unsere Erwartungen«, so Horx Strathern. Insofern ist ein Besuch in den erweiterten Wohnzimmern von Helena Ramsbacher, einer Gastgeberin aus Leidenschaft, also unbedingt anzuraten. Aber Achtung vor den verführerischen Brioches!