Ob in Ingeborg Bachmanns MALINA, in Marlen Haushofers Roman DIE WAND oder im Werk DIE GLASGLOCKE von Sylvia Plath: die Metapher der unüberwindlichen Mauer zieht sich durch die weibliche Literaturgeschichte. 2002 lässt Elfriede Jelinek in ihrem Dramolett DER TOD UND DAS MÄDCHEN V die drei Schriftstellerinnen aufeinandertreffen. Nun, 20 Jahre später, inszeniert und schreibt Regisseur*in Olivia Axel Scheucher das Werk für unsere Gegenwart fort.
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„Warst du es nicht, die gesagt hat, dass du einmal in einem dieser Risse in der Wand verschwunden seist? Da hast du gelogen. Die Wand ist noch da, und du bist auch noch da.“ (Elfriede Jelinek)
Wände, überall um uns herum. Aus vieren wird uns ein Haus, aus dreien eine Bühne, aus einer eine Mauer. Hier das Diesseits, dort das Jenseits. Wände, überall in der Literatur. In Marlen Haushofers DIE WAND trennt eine unsichtbare Mauer die einzig überlebende Frau von der eingefrorenen Außenwelt, in Ingeborg Bachmanns MALINA wird die Wand zur letzten Zuflucht der weiblichen Existenz, in Sylvia Plaths DIE GLASGLOCKE fungiert sie als übermächtiges Sinnbild der Depression.
2002 schreibt Elfriede Jelinek ihren Dramolett-Zyklus DER TOD UND DAS MÄDCHEN, auch als PRINZESSINNENDRAMEN bekannt. In fünf lose aufeinander bezogenen Teilen melden sich Frauen zu Wort, deren Tode uns bekannt sind – Dornröschen, Schneewittchen, Jackie Kennedy – und die nun aus dem Totenreich heraus auf die Suche nach Erkenntnis gehen …
Im letzten Teil namens DIE WAND treten schließlich zwei Ikonen des weiblichen Schreibens auf: Inge(borg Bachmann) und Sylvia (Plath), und mit ihnen steht eine hohe Wand im Raum. Inge und Sylvia beginnen ein rituelles Opferfest, um die blutgetränkte Mauer und die in ihr so manifeste Trennung und Abschottung zu überwinden. Es entspringt ein mäandernder, mal ironischer und mal bitterernster Sprachfluss, in dem Bedeutungen über ihre Ufer treten und Identitäten sich unentwirrbar verflechten. Nur diese Wand vor ihnen bleibt kalt und starr, aufrecht und männlich, eine Grenze ziehend, ob sie will oder nicht.
„Ich bin jemand, bei dem es plötzlich anfängt zu wuchern“, so Jelinek über ihren Text. „Und dann schießen aus dem Geflecht unter der Erde überall Pilze heraus – bei guter Düngung.“ Dieser Schreibprozess ist für Autor*in und Regisseur*in Olivia Axel Scheucher (FUGUE FOUR : RESPONSE) eine Form der queeren Praxis: ein Ausbreiten in alle Richtungen mit einer Sprache, die nicht festhält und auch nicht festgehalten werden kann, die sich Eindeutigkeiten und Bedeutungshierarchien spielerisch verweigert.
Aber ist die Mauer aus Elfriede Jelineks Text heute noch immer so massiv und unüberwindbar? Ist es heute überhaupt noch die gleiche Wand, an der sich bereits Haushofer, Bachmann, Plath abarbeiteten? Scheucher inszeniert das von Jelinek geschriebene Dramolett und schreibt es für unsere unmittelbare Gegenwart fort. In einem überzeitlichen Zwiegespräch erklingen neue Stimmen – vor, hinter und in der Wand; es erklimmen neue Körper ihre Höhen.
SchauspielerInnen
- Evi Kehrstephan
- Nick Romeo Reimann
- Claudia Sabitzer
Künstlerisches Team
- Olivia Axel Scheucher
- Julian Schock
- Matthias Seier
Inhalte zur Verfügung gestellt von VT//Dunkelkammer.