Berührung oder Abstand, Nähe oder Einsamkeit: Das „Tristan Experiment" greift in der Inszenierung von Günther Groissböck jene Themen auf, die uns seit Monaten begleiten. Tenor Norbert Ernst wird in der komprimierten und konzentrierten Fassung, die speziell für die Wiener Kammeroper geschaffen wurde, die Titelpartie des Tristans singen. Die BÜHNE hat den renommierten Opernsänger am Rande der Endproben getroffen und ihn gefragt, was die Rolle so herausfordernd macht und wie sehr er sich auf die Rückkehr auf eine Bühne freut.

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BÜHNE: Wie ist das Gefühl, endlich wieder auf der Bühne zu stehen?

Norbert Ernst: Man kann gar nicht mehr Vorfreude sagen. Es ist nur noch pure Freude. Es ist kein hypothetisches Proben mehr für eine Vorstellung, die vielleicht einmal stattfinden kann. Wir sind in den Endproben für eine konkrete Vorstellung!

BÜHNE: Wann sind Sie das letzte Mal aufgetreten?

Ernst: In Düsseldorf, am zweiten November. Und das letzte Mal davor war im Februar in der Wiener Staatsoper. Eine Vorstellung in 14 Monaten ...

BÜHNE: Und nun gleich der Tristan. Ist der Part wirklich so anstrengend, wie es immer kolportiert wird?

Ernst: Ja. (lacht) Körperlich und stimmlich ist es für mich das absolut Anstrengendste, was ich bislang verkörpern durfte.

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BÜHNE: Können Sie genauer beschreiben, was den Gesangspart so anspruchsvoll macht?

Ernst: Einerseits die schiere Länge: Nehmen wir zum Beispiel die lange, große Szene im dritten Akt: Eine halbe Stunde durchgehender Gesang in Wagner-Manier, was Intensität und Lautstärke betrifft. Das verlangt vollen Körpereinsatz. Andererseits kommt die Komplexität der Musik und des Textes hinzu, der oft nicht auf den ersten Blick verständlich ist.

Es ist ein Experiment, so ein Opus magnum eines großen Meisters zusammenzuschrumpfen, sodass es nicht nur von der Orchesterbesetzung, sondern auch von der Spieldauer in die Kammeroper passt. Ich denke, das ist uns aber gut gelungen.

Virtuelle gegen reale Welt

BÜHNE: Der musikalische Leiter, Hartmut Keil, hat im Interview erzählt, dass das Stück durch die Raffungen für Wagner-Einsteiger vielleicht sogar besser geeignet sein kann. Macht die Kürzung das Werk zugänglicher?

Ernst: Der Inhalt des Stücks konzentriert sich durch die Kürzungen, noch mehr als in der Hauptfassung, auf die zwei Hauptprotagonisten und deren Gefühlswelt. Unser Regisseur Günther Groissböck führt uns in ein Menschenexperiment. Es greift jene Themen auf, die uns auch in den vergangenen Monaten beschäftigt haben und macht den Inhalt dadurch nahbarer: Virtuelle gegen reale Welt, Berührung gegen Abstand, Nähe gegen Einsamkeit. Alle diese Themen werden in diesem Experiment an den beiden Probanden Tristan und Isolde exerziert.

BÜHNE: Wie geht es bei Ihnen in der kommenden Saison weiter?

Ernst: Wieder Wagner, aber diesmal in Deutschland. Mehr darf ich noch nicht verraten!

BÜHNE: Danke für das Gespräch.

Norbert Ernst singt in der Wiener Kammeroper die männliche Titelpartie in Tristan und Isolde.

Foto: Michael Pöhn

Zur Person: Norbert Ernst

Der in Wien geborene Tenor begann seine Karriere im Ensemble der Deutschen Oper am Rhein und war von 2004 bis 2017 Solist der Bayreuther Festspiele. Er wechselte 2010 ins Ensemble der Wiener Staatsoper, wo er u.a. als Loge in Wagners „Rheingold“, Erik in „Der fliegende Holländer“, aber auch als Schujski in Mussorgsky „Boris Godunow“ zu hören war. Gastengagements führten ihn u.a. an die Bayerische und Berliner Staatsoper, an die Opéra National de Paris, das Liceu in Barcelona, ans Royal Opera House in London und an die New Yorker Met. Bei den Salzburger Festspielen ist Norbert Ernst seit 2013 regelmäßig zu Gast, wo er u.a. in Strauss‘ „Die Liebe der Danae“ unter Welser-Möst erfolgreich war. In Marseille debütierte er als Lohengrin und konnte mit Florestan in Beethovens „Fidelio“ und Paul in Korbgolds „Die Tote Stadt“ sein Repertoire erweitern. Sein erster Stolzing in den Meistersingern ist im Sommer 2021 in Tokyo geplant.

Termine und Tickets für „Tristan Experiment"

Premiere: 26.5., 18:30 Uhr
Weitere Termine finden Sie auf der Seite der Wiener Kammeroper

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