Glamourous Experiences: Die großen Schmuckhäuser inszenieren sich architektonisch wie Kunstgalerien
Der Einzelhandel meldet sich zurück – und er tut es mit Stil. Mit aufwendig gestalteten Boutiquen schaffen Architekten unvergessliche Einkaufserlebnisse, die weit über das bloße Shoppen hinausgehen.
Totgesagte leben bekanntlich länger. Das Onlineshopping hatte die kleinen besonderen Geschäfte im letzten Jahrzehnt langsam, aber beständig verdrängt. Nach der Pandemie aber feiert der Einzelhandel ein grandioses Comeback. Kund:innen suchen wieder das direkte Einkaufserlebnis. Passend dazu erfinden sich die Stores neu. Sie haben erkannt, dass es nicht darum geht, bloß schillernde Verkaufsfläche zu sein. Sie präsentieren sich wie Kunstgalerien: Kund:innen sollen kommen, um sich inspirieren zu lassen. Der Verkaufsaspekt drängt sich nicht unangenehm in den Vordergrund, das Erlebnis steht im Zentrum. So manche Geschäfte ermöglichen Reisen im Kopf wie etwa Kopi in Warschau, eine Schmuckboutique, in der man sich wie in einem marokkanischen Zelt mitten in der Wüste fühlt. Die Nischen sollen an Höhlen im Atlasgebirge erinnern, alles ist organisch rund. Die Lichter an der Decke lassen Assoziationen an einen sternenklaren Nachthimmel aufkommen. Natalia Kopiszka, die Designerin und Gründerin der Marke, ließ sich von ihren Reisen inspirieren, Noke Architects haben ihre Wünsche umgesetzt. Ein weiterer zentraler Faktor beim Einkaufen: Exklusivität. Man möchte Raum und Zeit vergessen, sich rundum privat verwöhnt fühlen.
Unvergleichliche Erfahrungen
Unter Stardesigner Peter Marino (hier geht's zum exklusiven Interview) entstand an der Fifth Avenue Tiffany’s The Landmark. Die Klientel bekommt die Preziosen in privater Atmosphäre präsentiert, während sie die legendären historischen »Blue Book«-Schmuckkataloge von Tiffany & Co. aus dem 19. und 20. Jahrhundert bestaunen kann. Der siebente Stock ist ein Luxusmuseum: Hier gilt es, Tiffany-Schätze von maßgeschneiderten Stücken mit funkelnden Diamanten zu bewundern. Eine große Kunstschau präsentiert bis heuer im Mai Highlights aus der Marino Art Foundation. Tiffany’s The Landmark weiß, worauf es ankommt: Man möchte unvergleichliche Erfahrungen schaffen und die eigene Firmengeschichte greifbar machen. Das Einkaufen wird zum profanen Nebenaspekt.
Tradition und Werte
Der Chanel-Store in New York, ebenfalls von Peter Marino entworfen, soll in die Welt der Label-Gründerin eintauchen lassen. Anspielungen auf das Pariser Privathaus von Coco Chanel finden sich in dem luxuriösen Shop, der auf Schwarz und Gold als Akzente setzt. An den Wänden befinden sich Kunstwerke, unter anderem ein Porträt von Coco Chanel des brasilianischen Künstlers Vik Muniz. Ebenfalls ausgestellt: das berühmte Collier 55.55, das anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Parfums No.5 entworfen wurde. Ein bisschen Nostalgie darf durchaus mitschwingen: Schmucklabels haben von der High Fashion gelernt, dass Kund:innen zu schätzen wissen, wenn die glamouröse Geschichte eines Hauses zelebriert wird. Sie kaufen schließlich nicht nur ein Schmuckstück, sondern auch einen Namen mit Tradition und Werten. In Paris haben die Architekten und Interior-Designer Patrick Jouin und Sanjit Manku die funkelnden Edelsteine in Kontrast zu organischem Kalkstein gesetzt. Highlight ist eine Treppe, die wie eine Wirbelsäule aussieht. Die Vitrinen, in denen der Schmuck präsentiert wird, strahlen futuristischen Charme aus: Fast wirkt es, als wären sie in einem Raumschiff ausgestellt. Van Cleef & Arpels gelingt mit seinem Pariser Shop, 22 Place Vendôme, ein spannender Spagat zwischen Tradition und Sci-Fi.

Bizoux, Tokio: Das Interieur-Design-Studio Gavel Inc. wollte, dass man sich fühlt, als wäre man dort, »wo die Edelsteine geboren werden«. Die Architektur soll an jene Minen erinnern, in denen Juwelen gefunden werden. bizoux.jp
(c) Kozo Takayama
Kopi Jewellery, Warschau: Ein kleiner Schmuckladen in Warschau entführt nach Marokko: Organische Formen und warme Sandfarben sowie eine Decke, die an den leuchtenden Nachthimmel denken lässt, erinnern an Reisen in die Wüste. Entworfen wurde der Store von Noke Architects. kopi.com.pl
(c) Noke ArchitectWie auf Wolken
Die Architektur muss nicht auf Bling-Bling setzen, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Oft hilft raffiniertes Understatement, um sich von großen Marken abzusetzen. Das japanische Schmucklabel Bizoux hat in Tokio einen Laden eröffnet, der an Minen erinnern soll, in denen Juwelen gefunden werden. Die Perfektion der Schmuckstücke und der sandige, höhlenartige Raum stehen im Kontrast zueinander. Das Interieur-Design-Studio Gavel Inc. wollte, dass man sich fühlt, als wäre man dort, »wo die Edelsteine geboren werden«. Auch Yin Fine Jewelry Boutique in Shanghai möchte sich von anderen unterscheiden. Wie unter einem Wolkenmeer zeigen sich die Schmuckgegenstände. Der Shop ist klein, durch die wellenförmige Decke soll sich der Raum öffnen. Der Schmuck scheint zu schweben. Die goldenen Sockel sollen an den Schatten der Wolken erinnern. Eine perfekte Kombination: Man begeistert sich für Schmuck und wird in ein architektonisches Wunderland entführt.