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© Gregor Sailer

Winterliche Architektur: von Schneekristallen und Eiswürfelhäusern

Winter
Architektur

Wohnglück, Sonnenschein und strahlend blauer Himmel? Das war einmal! Immer häufiger werden Bauwerke für tief verschneite Wintermonate konzipiert. Eine kleine Weltreise durch den Schnee.

Das Blut gefriert einem in den Adern. Und bei Gregor Sailer ist der eiskalte Schauer wörtlich zu verstehen. Denn der Tiroler Fotograf hat seit Jahren schon ein Faible für arktische, zum Teil sogar dauerhaft im Eis gefangene Orte. In regelmäßigen Abständen bricht er auf, gewappnet mit Daunenjacke, UV-geschützter Skibrille und dick gefütterten Fäustlingen, um bei Temperaturen bis zu 55 Grad Celsius unter null winterliche Architekturen und Schneelandschaften einzufangen. So wie auch anno 2021 in Krafla, Island, als er mit seiner Sinar-Fachkamera ein geothermisches Kraftwerk fotografierte.

»Mich faszinieren diese verborgenen, geheimnisvollen Infrastrukturen am Rande der Welt«, sagt der 44-Jährige. »Einerseits begeistert mich die Funktion dieser Bauten, ob das nun Camps, Kraftwerke, Sendeanlagen, Forschungsstationen oder militärische Einrichtungen sind, andererseits mag ich das Spannungsverhältnis zwischen dem Farb- und Formenkanon, den in diesen Breitengraden verfügbaren Baustoffen und den schroffen, zutiefst herausfordernden, aber auch wunderschönen Wetterbedingungen. Manchmal verschmelzen die Bauwerke mit der Landschaft oder verschwinden gleich ganz im Schneesturm.«

Opernhaus, Harbin. Bei seinem Entwurf im Nordosten Chinas orientierte sich Architekturikone Ma Yansong, Gründungspartner von MAD Architects, an weißen Schneedünen. Der holländische Fotograf Iwan Baan bekam 2016 den Auftrag, diese eingeschneite Ästhetik einzufangen.
i-mad.com, iwan.com

© Gregor Sailer

Island hat es – neben dem kalten Kanada, dem nördlichsten Norwegen und der Arktischen Seidenstraße – dem Fotografen besonders angetan. Aufgrund der billigen und im Übermaß verfügbaren vulkanischen Energie ist der abgelegene Inselstaat ein strategisch wichtiger Industriestandort, voll mit geothermischen Kraftwerken und gigantischen Silizium- und Aluminiumwerken. Plötzlich ragen rote Polyeder und im Wasserdampf verrostete Skulpturen aus der Landschaft, dahinter meterdicke Pipelines, die die Topografie zerschneiden und hinter dem Horizont verschwinden. Sailer, dessen Arbeiten bereits in Wien, Salzburg, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Mailand, Genf, London, Prag, Tiflis, Krasnoyarsk und New York ausgestellt wurden, ist nicht der einzige Fotograf, der sich von winterlicher Architektur angezogen fühlt. Während die klassische Architekturfotografie bis in die 2000er-Jahre stets nach blauem Himmel, saftig grünen Wiesen und hoch gesättigten Sommerfarben verlangte, entdecken immer mehr Fachleute den Reiz des kalten, nebeligen, tief verschneiten Winters.

Das chinesische Architekturbüro MAD beispielsweise hat den renommierten Amsterdamer Fotografen Iwan Baan vor einigen Jahren eigens damit beauftragt, das Opernhaus Harbin im Nordosten Chinas bei minus 30 Grad abzulichten. »In Harbin ist es die meiste Zeit des Jahres sehr kalt«, sagt Ma Yansong, Gründungspartner von MAD Architects. »Daher hatte ich mir schon im Entwurf vorgestellt, dass das Opernhaus wie eine Schneedüne aus der Ebene emporsteigt und sich in die weiße Winterlandschaft einfügt. Genau dieses Bild wollte ich eingefangen wissen.«

Auch in Österreich wird die klirrend Kälte immer fotogener. Das Haus Arslan im oberösterreichischen Ottensheim, geplant von X Architekten, ist an der Fassade in schwarzes, vorverkohltes Holz – auch besser bekannt als Yakisugi oder Shou Sugi Ban – einkleidet. Damit erscheint das in die winterliche Landschaft eingebettete Einfamilienhaus wie ein surrealer, dramatisch zugespitzter Keil, der vor allem eines zu sagen scheint: Nichts wie rein in die warme Stube!

Erschienen in
LIVING 01/2025

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Wojciech Czaja
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