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Designguide Indien: Subkontinent der schönen Dinge

Indien
Design
Design-Piece

Die junge Designszene Indiens verbindet gekonnt Innovation mit Tradition. LIVING zeigt die spannendsten Designer:innen des Subkontinents und ihre einzigartigen Kreationen.

Eines müsse ja wohl klar sein, sagte die indische Designerin Gunjan Gupta 2024 auf der Design Week in Mailand, die Zeiten, in denen ihr Heimatland als exotisches Ethno-Klischee mit einem Übermaß an Farben und Glitzer verkauft wurde, seien vorbei. »Chamak-dhamak« nennen die Inder:innen dieses Zuviel an Dekoration, und der Stand, den Gupta, Gründerin des Labels IKKIS aus Neu-Delhi, in Mailand aufbaute, war einem ganz alltäglichen Supermarkt nachgebildet, in dem sie ihre ebenso alltäglichen, aber hoch verfeinerten Tableware-Pieces ausstellte. Klare Formen, handwerklich präzise gefertigt. »Indien erkennt sich heute selbst und hat seine koloniale Katerstimmung überwunden«, sagt Gupta.

Das Holz tanzen lassen. Kanika Agrawal und Jwalant Mahadevwala vom Studio andblack 
fusionieren Form­prinzipien der Architektur mit lokaler Materialkunde, wie hier 
beim geschwungenen Tisch »LOOP«.
andblackfurniture.com

Das Holz tanzen lassen. Kanika Agrawal und Jwalant Mahadevwala vom Studio »andblack« fusionieren Formprinzipien der Architektur mit lokaler Materialkunde, wie hier beim geschwungenen Tisch »LOOP«.
andblackfurniture.com

© andblack design studio

Ideen und Impulse

Indien zählt heute über 1,4 Milliarden Einwohner:innen, dreimal so viel wie die ganze EU. Der Subkontinent ist ein Kosmos für sich. Es gibt zahllose Designmagazine, Designhochschulen und weltweit renommierte Messen wie die Mumbai Design Week. Diesen Kosmos auf einen simplen Design-Nenner zu bringen, wäre absurd, denn natürlich existiert hier alles nebeneinander: neu interpretierte Handwerkskunst neben Hochglanz-Industriedesign, junge Neueinsteiger:innen neben innovativen Veteran:innen.

Ein solcher ist Ajay Shah (60), der 1988 die Circus Design Company ins Leben rief, die neue Maßstäbe bei Shop-Interiors, Grafik und Leitsystemen setzte und inzwischen in Ajay Shah Design Studio (ASDS) umbenannt wurde. 2012 gründete er das Studio Industrial Playground, dessen leuchtende Farben und geometrische Formen die klassische Moderne evozieren. Ach, und die Produktmarke Rubberband gründete der Tausendsassa aus Mumbai auch noch. Sein unter diesem Label vermarkteter raffiniert gefalteter Metallstuhl »It Looks Better In Orange«, an dem er sieben Jahre lang arbeitete, hat das Zeug zum Designklassiker. Er sieht aus, als wäre er schon immer da gewesen und gleichzeitig völlig neu. »Ich sehe all meine Produkte als Teil einer großen Geschichte. Meine Rolle ist es, Ideen und Impulse zur Verfügung zu stellen«, sagt Shah.

Ebenfalls in Mumbai – no na – ist das junge Bombay Design Lab zu Hause, das sich maßgeschneiderten Möbeln verschrieben hat, die handgemachte Authentizität ausstrahlen. Dafür arbeitet das Team um Gründer Rehan Parikh mit Handwerker:innen zusammen und denkt so die traditionelle indische Kultur weiter. Wie viele zeitgenössische Designer:innen studierte Parikh im Ausland und brachte Ideen und Theorien von dort nach Hause zurück.

Dies tat auch Vikram Goyal, der in Neu-Delhi seinen Shop Viya eröffnete, nachdem er in Princeton studiert und in den USA und in Hongkong in der Finanzwirtschaft gearbeitet hatte. Zurück in Indien beschäftigte er sich intensiv mit der Handwerkstradition seiner Heimat, insbesondere die Materialien Stein und Messing faszinieren ihn. Seine wirtschaftliche Expertise gab ihm den Impuls, das Design in interdisziplinären Workshops – auf Hindi »karkhana« – zu entwickeln und zur Marke zu veredeln. »Wir haben angefangen mit sogenanntem India Modern und haben uns dann in Richtung organisch-abstrakte Formen entwickelt, auch durch die Arbeit mit internationalen Architekt:innen«, sagt Goyal.

Lineares Denken. Deutsche Präzision und indische Handwerkskunst treffen sich im Werk von Studio SĀR aus dem indischen Pune, wie hier im eleganten Sofa »Barza«.
sar-studio.com

© SĀR Studio

Freche Faltung. Das junge Designduo KEPH aus Ahmedabad bietet alles, wessen der Haushalt bedarf und kooperiert dabei mit zahlreichen anderen indischen Kreativen. Die Vase »YOG« zeigt ihre unkonventionelle Herangehensweise.
instagram.com/keph.design.studio

© KEPH Design Studio

Minimal maximal. Der körperbetonten Geometrie und der raffinierten Einfachheit hat sich Aanchal Goel vom Designlabel Objectry verschrieben. Seine Objektserie »Cone« ist eine Liebeserklärung an den Kegel.
objectry.com

© Objectry

Alles, was glänzt. Die Designerin Gunjan Gupta vom Studio IKKIS vermeidet Ethno-Kitsch und lässt Indien ganz modern leuchten, wie hier bei ihrer Dinnerware.
ikkis.in

© Ikkis

Design trifft Architektur

Er ist nicht der einzige indische Gestalter, der an der Schnittstelle von Design und Architektur arbeitet. Auch Kanika Agrawal und ihr Partner Jwalant Mahadevwala vom Studio Andblack aus Ahmedabad haben eine Architekturausbildung genossen – an der hochkarätigen AA in London – und bringen dadurch edlen Minimalismus und computergenerierte fließende Formen in die indische Designwelt mit ein. Ihre zerknautscht-flüssigen Tische und Regale lassen das Vorbild Zaha Hadid unschwer erkennen. Nishita Kamdar aus Mumbai wiederum fährt komplett zweigleisig: Sie führt ein Architekturbüro und leitet das Designstudio Pieces of Desire (P.O.D) – der Name spricht für sich selbst. Eine ganz besondere Spezialität von P.O.D sind die »Swing-Sofas«, eine Art urbane Version der Hollywoodschaukel. Pardon, natürlich: Bollywoodschaukel.

Doch nicht nur in den Megametropolen wie Mumbai, Delhi oder Ahmedabad schaukelt sich die Designwelt in höchste Höhen, denn dafür bieten die indischen Bundesstaaten ein Mosaik an unterschiedlichsten Kulturen, Traditionen und Kunsthandwerk. In der südwestindischen Stadt Pune hat beispielsweise das indisch-deutsche Paar Nikita Bhate und Pascal Hien eine Heimat gefunden, wo es heute im transnationalen Dialog sein Studio SĀR leitet. Typisch indisch, könnte man sagen: Weltweit vernetzt, vielstimmig, voller Kontraste, mit einem Bein in der Tradition, mit dem anderen in der Zukunft und beide Hände voll zu tun.

Erschienen in
LIVING 01/2025

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