Goethes berühmten Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ so aufzubereiten, dass ganze Schulklassen davon in den Bann gezogen werden, lautete 1997 der Auftrag an Schauspieler Philipp Hochmair und Regisseur Nicolas Stemann. Hochmair, mit 23 damals im idealen Werther-Alter, schlüpfte damit in seine allererste Theaterrolle. Seither hat der gebürtige Wiener sein Werther-Solo mehr als 1500 Mal gespielt – auch in anderen Ländern und Sprachen. Am 17. September findet im Rahmen der Festwochen Gmunden wieder eine Aufführung statt. Etwa eine Woche zuvor ist der zwischen Theater und Film pendelnde Schauspieler noch bei einem Dreh in Deutschland, wir erreichen ihn am Telefon.

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„Ich empfinde es als großen Luxus, diesen Monolog so lange spielen zu dürfen“, eröffnet der Schauspieler das Gespräch. „Als fast 50-Jähriger ist es für mich eine Reise in einen anderen Lebensabschnitt. Ich darf mich wieder ins Leben dieses 20-jährigen Jünglings hineinbegeben, wobei mein gelebtes Leben natürlich in den Text einfließt. Das tut der Sache aber auch gut, denke ich.“

Wobei die sogenannte „Werther-Falle“ vollkommen altersunabhängig zuschnappen kann, wie Hochmair hinzufügt. „Goethe ist mit 72 nochmals verliebt gewesen und hat sich damals in ähnlicher Weise verhalten wie die von ihm geschaffene Romanfigur. Das Närrisch-Sein im Verliebtsein wird sich vermutlich nie ändern.“

Goethes großer Sprachschatz

Selbst TikTok, Snapchat und Co können daran nichts ändern. „Die Gefühlsausschüttungen und Gefühlsströme, die in diesem Text beschrieben werden, sind ewig“, bringt es der Schauspieler auf den Punkt. Dass das daher auch für Goethes Text gelten muss, stellte im Jahr 2021 das Theaterkollektiv punktlive eindrucksvoll unter Beweis. Mit ihrer Werther- Adaption für den digitalen Raum sahnte das Kollektiv zahlreiche Preise ab. Wenn es nach Philipp Hochmair geht, ist das alles andere als verwunderlich, denn Werthers Geschichte hat auch in Zeiten von Online-Dating nicht an Aktualität eingebüßt. „Wir erleben hier jemanden, der sich absichtlich in eine ausweglose Situation hineinbegibt, um zu fühlen“, fasst der Schauspieler die Situation seiner Figur zusammen.

Foto: Stephan Brückler

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Mehr als um die Identifikation mit der Figur geht es Philipp Hochmair jedoch um das Musizieren des Stoffes und das Schöpferische in der Sprache. „Wir haben es hier mit einer Figur zu tun, die versucht eine Sprache der Gefühle zu finden und zu definieren. Die Entdeckung dieser Sprache der Liebe ist für mich die Performance“, erklärt der Schauspieler und fügt hinzu, dass Goethes Sprachschatz 10.000 Wörter umfasste, während es bei einem normalen, gebildeten Menschen „nur“ 3.000 sind. „Diesen Reichtum an Möglichkeiten kann man hier miterleben“, schließt er seine Ausführungen ab.

Für die Sache brennen

Neben vielen anderen Definitionen und Zuschreibungen wurde Werther immer auch als Grenzgänger gesehen. Das Verlassen der eigenen Komfortzone wie auch das Ausloten von Grenzen ist ein Gefühl, das auch viele Theaterschauspieler*innen gut kennen. Philipp Hochmair zählt sich eindeutig dazu. Vom ewigen Battle mit sich selbst, wie er in Goethes Text beschrieben wird, gehe für ihn deshalb eine große Faszination aus, die schon in der Schulzeit ihren Anfang nahm. „Seither hat mich dieser Text nicht mehr losgelassen. Und es ist auch noch lange kein Ende in Sicht. Obwohl ich den Abend nun schon so oft gespielt habe, ist es für mich immer wieder neu und aufregend.“

Ich bin nun seit 25 Jahren dabei und würde den Job gerne noch weitere 25 Jahre machen. Deshalb musste ich lernen, mit meinen Ressourcen umzugehen.

Philipp Hochmair

Bei solch intensiven Rollen wie Goethes Werther oder Stemanns achtstündiger Faust-Inszenierung, in der Hochmair den Mephisto spielte, sei die Grenze zwischen dem Brennen für die Sache und dem eigenen Verglühen allerdings manchmal hauchdünn. „Ich bin nun seit 25 Jahren dabei und würde den Job gerne noch weitere 25 Jahre machen. Deshalb musste ich lernen, mit meinen Ressourcen umzugehen. Faust und Werther sind zwei gute Beispiele für unglaublich intensive Erlebnisse, bei denen man aufpassen muss, dass man sich dabei nicht verletzt. Die Figuren tragen zwar Verletzungen davon, aber der Schauspieler sollte gesund bleiben. Sich entlang dieser Grenze zu bewegen ist für mich aber auch das Spannende an dem Beruf.“

Zwischen Theater und Film

Ein Ausgleich ergibt sich auch durch den Wechsel zwischen Theaterbühne und Filmset. „Im empfinde es als unglaublichen Luxus, dass ich all diese Dinge parallel machen kann. Ich habe die ganze Woche gedreht, spiele demnächst ‚Jedermann Reloaded‘ mit meiner Band und bin dann mit dem ‚Werther‘ in Gmunden. Das ist zwar mit viel Aufwand verbunden, aber den nehme ich gerne auf mich, weil das alles für mich mit so vielen Glückshormonen verbunden ist“, erzählt Hochmair. Nur eine der beiden Sachen zu machen, wäre dem Schauspieler zu eindimensional. Er fügt hinzu, dass im Film eine ganz andere Physis verlangt wird als am Theater. „Für mich gibt es so etwas wie einen Theaterkörper und einen Filmkörper. Im Film muss ich ganz anders auf mich aufpassen als im Theater, das einen viel höheren physischen Output hat“, fasst er zusammen, bevor er sich wieder in die Dreharbeiten verabschiedet.

Zur Person: Philipp Hochmair

Der gebürtige Wiener war Ensemblemitglied am Burgtheater und am Thalia Theater in Hamburg, außerdem gastierte er an zahlreichen anderen Häusern. Der Schauspieler wirkt in zahlreichen Filmen und Serien mit, darüber hinaus tourt er mit seiner Band „Die Elektrohand Gottes“. 2018 sprang er bei den Salzburger Festspielen fünfmal für den erkrankten Jedermann Tobias Moretti ein.