Seit Jänner des heurigen Jahres sind Alex Bailey, Camilla Schielin, Júlia Rúbies Subirós, Shahrzad Nazarpour, Theresa Scheinecker eine Tanzgruppe. Die fünf jungen Tänzer*innen bilden den ersten Jahrgang des bezahlten Ausbildungsprogramms PARASOL, das vom Tanzquartier Wien ins Leben gerufen wurde, um jungen Künstler*innen die Möglichkeit zu bieten, ihre künstlerische Praxis durch das kontinuierliche Arbeiten in einer Gruppe weiterzuentwickeln und gleichzeitig finanziell abgesichert zu sein. Im ersten Jahr werden die Tänzer*innen, die sich bis Spätherbst des vergangenen Jahres für das Programm bewerben konnten, von den beiden renommierten Choreograf*innen Ian Kaler und Alix Eynaudi betreut. Die Probenzeit beträgt jeweils drei Monate pro Stück.

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Die erste der beiden Produktionen, die den Arbeitstitel „Ecto-Fictions“ trägt, wird von Ian Kaler begleitet. Es ist eine Revision und Rückbeziehung auf sein Graduationsstück „Save a horse ride a cowboy“ aus dem Jahr 2010. „Ian hat eine sehr offene Arbeitsweise“, erzählt Júlia Rúbies Subirós. „In den ersten Tagen haben wir vor allem improvisiert. In einem Raum, der völlig frei von Erwartungen war“, fügt die zwischen Barcelona und Brüssel pendelnde Tänzerin hinzu.

Frei fühlen

In der Anfangsphase der gemeinsamen Arbeit lag der Fokus vor allem auf der von Ian Kaler mitgebrachten „Transparenz-Praxis“, bei der sich die Tänzer*innen darin übten, sich vor den anderen zu zeigen. Dafür gab es kein im Vorhinein festgelegtes Vokabular, so dass sie die Möglichkeit hatten, all die einzigartigen Zugänge kennenzulernen. „Die großen Gepäckstücke voller unterschiedlicher Erfahrungen, Ideen und Ausbildungen, die wir alle in die Räumlichkeiten der TQW Studios mitgebracht hatten", fügt Júlia Rúbies Subirós hinzu. „Anfangs wurde uns viel Raum gegeben, um so zu sein, wie wir sind. Nach und nach begannen wir gemeinsame Arbeitsweisen zu entwickeln. Das geschah auch dadurch, dass wir uns Ians Arbeit gemeinsam ansahen und die Prinzipien, nach denen er arbeitet, verstanden“, erinnert sich die Tänzerin.

Durch Prozesse des Ausprobierens in der Gruppe entwickelte sich auf sehr natürlichem Wege eine gemeinsame, in Bewegung verpackte Sprache. „Ian hat ein sehr gutes Auge“, ergänzt die in Wien lebende Tänzerin und Performerin Camilla Schielin. „Er hat sich mit großer Sensibilität angesehen, was jede*r von uns mitbringt.“ 

Parasol: Geteilte Räume, gemeinsame Bewegungen

Foto: Luca Celine Müller

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Zur Person: Júlia Rúbies Subirós

Die P.A.R.T.S.-Absolventin arbeitet als Tänzerin zwischen Barcelona und Brüssel. Ihr Interesse geht weit über Tanz und Performance hinaus. Sie kollaboriert derzeit u. a. mit Michiel Vandevelde, Marco d’Agostin und Lili M. Rampre. Ihre Performances waren u. a. bei wpZimmer, Antwerpen, und Mercat de les Flors, Barcelona, zu sehen.

Den Raum teilen

Gruppenausflüge, unter anderem zum „Zentrum für tiergestützte Pädagogik – Schottenhof“, sorgten für gemeinsame Erfahrungen außerhalb der Proberäumlichkeiten, die das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe stärkten. Die Idee, die Kommunikation und Interaktion von Pferden zu einem wichtigen Bestandteil des Gruppenstückes zu machen, kam von Ian Kaler. Im Alter von sechs Jahren entdeckte der Tänzer und Choreograf seine Liebe zu Pferden, die auch in seinem Diplomstück eine wichtige Rolle spielte. Für die Tänzer*innen von PARASOL bedeutete die Auseinandersetzung mit den Pferden, die in mehrere Workshops aufgeteilt wurde, sich auf eine neue Ebene der Kommunikation zu begeben, die in hohem Ausmaß von Intuition geprägt ist.

Camilla Schielin nahm aus der Arbeit mit den Pferden unter anderem mit, was ein Herdengefüge ausmacht. „Als Gruppe teilen auch wir uns die Räume, die uns zur Verfügung stehen und beschäftigen uns damit, ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, ohne dabei unsere Autonomie aufzugeben“, erklärt die Tänzerin und Performerin. 2021 zeigte sie ihr Solo „take me to my house“ im Rahmen des Rakete-Festivals im Tanzquartier. Anhand eines Beispiels erklärt sie, wie sie das meint. „Selbst, wenn ich mich von dir abgewandt habe und dich nicht sehe, versuche ich trotzdem, dich zu spüren. Ich kann mich auf meine Sachen konzentrieren, aber ich habe immer noch ein Bewusstsein dafür, dass wir den Raum teilen.“

Parasol: Geteilte Räume, gemeinsame Bewegungen
Bei den Workshops am Schottenhof lernten die Tänzer*innen die Bewegungen und Kommunikationsweisen der Pferde kennen.

Foto: Marcella Ruiz-Cruz

Ein Paket voller Seile

Um die Eindrücke und Erfahrungen noch besser in die Arbeit an „Ecto-Fictions“ integrieren zu können, fanden auch Proben in der Reithalle des Schottenhofs statt. „Einfach dort zu sein, mit den Stiefeln, dem Sand und der Kälte in der Luft, hat einen starken körperlichen Eindruck hinterlassen“, so Julia Rúbies Subirós. Aus der Arbeit mit den Pferden entstand auch die Idee, Seile im Stück einzusetzen. Außerdem probierten die Tänzer*innen, die Gesten und Kommandos jener Menschen, die tagtäglich mit den Pferden arbeiten, einzubinden. Passenderweise kam während unseres Gesprächs im Empfangs- und Aufenthaltsbereich der TQW Studios gerade ein weiteres Paket mit Seilen an. Adressiert an Ian Kaler.

Parasol: Geteilte Räume, gemeinsame Bewegungen

Foto: Luca Celine Müller

Zur Person: Camilla Schielin

Die gebürtige Oberösterreicherin ist Tänzerin und Performerin, sie lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte zeitgenössischen Tanz und Performance in Österreich und Deutschland und arbeitete u. a. mit NickMauss für das Museum Ludwig in Köln und mit Doris Uhlich. 2021 zeigte sie ihr Solo „take me to my house" im Rahmen des Rakete-Festivals im TQW.

Schutzschirm

Was die beiden Tänzer*innen dazu motivierte, sich für PARASOL zu bewerben? Für Julia Rúbies Subirós waren es in erster Linie die Herangehensweisen der beiden Choreograf*innen. Sich mit ihren Ansätzen und Arbeitsweisen zu beschäftigen, war für die P.A.R.T.S.-Absolventin der wichtigste Antrieb. Dem schließt sich auch Camilla Schielin an. Sie ergänzt: „Ich empfinde es als sehr bereichernd, in die Ideen und Herangehensweisen anderer Künstler*innen einzutauchen, zu verstehen, wie sie vorgehen und wie ich in diesen Kontexten arbeite.“

Auf diesem Weg kommt PARASOL in zweifacher Hinsicht eine wichtige Funktion zu: Die Gruppe kann als Schutzschirm fungieren, der Möglichkeiten eröffnet, sich in geschütztem Rahmen auszuprobieren. Auf der anderen Seite löst ein Schirm – vor allem in Kombination mit einem kräftigen Windstoß – manchmal auch Höhenflüge aus.

Zu den Spielterminen von „Ecto-Fictions“ im Tanzquartier Wien