Günther Groissböck feiert erste Regiearbeit mit Tristan und Isolde

Doppeltes Experiment in der Kammeroper: Der weltweit ­gefeierte Opernsänger Günther Groissböck schickt für seine erste Opernregie Wagners „Tristan und Isolde“ ins Labor.

Kunst entspringt unerfüllter Liebe, virtuelles Leben kommt dem realen gefährlich nahe, Tristan trifft auf Isolde, und beide treffen sich auf den Grund ihres Operndaseins: ihre Alter Egos Richard Wagner und Mathilde Wesendonck. Günther Groiss­böck, österreichischer Bass von Weltklasse, hat sich viel vorgenommen. Er verlegt Wagners allergrößtes Liebesdrama ins kleine Haus des Theaters an der Wien am Fleischmarkt und zugleich in ein Labor der Gefühle. „Tristan Experiment“ heißt die Produktion, in der der nächste Bayreuther Wotan nicht nur als König Marke zu erleben sein wird, sondern für die er auch erstmals ­Regie führt.

„Es ist ein Versuch für uns alle.“

Günther Groissböck über die Inszenierung von Tristan und Isolde

„Wenn jemand in die Kammeroper geht, um ‚Tristan und Isolde‘ zu erleben, dann ist er schon für ein gewisses Experiment bereit, kennt das Stück und ist neugierig. Es ist ein Versuch für uns alle“, sagt er und meint auch seine Titel­rollen-Sänger Kristiane Kaiser und Norbert Ernst, die in für sie neue, ungewohnte, auf regulären Bühnen heldische Mörderpartien schlüpfen.

Berührung und Sinnlichkeit in allen Facetten

Die Unmöglichkeit einer Verbindung mit der verheirateten Mathilde Wesendonck ­sublimierte Richard Wagner bekanntlich ­in seinem 1857 im Gartenhaus der Wesen­doncks in Zürich begonnenen und nach dem „Ring“ vollendeten Musikdrama. Für Groissböck, den die Kraft der Liebe als ­Inspirationsquelle schon lange beschäftigt, ist es eines der leuchtendsten Beispiele, was aus unerfüllter Liebe ent­stehen kann.

Die Beziehung von Wagner und Wesendonck gibt dazu den Impuls für die Konfrontation von echtem, analogem Leben und Liebe mit einer digitalen Fiktion. „Berührung und Sinnlichkeit in allen Facetten und damit alles, was Kunst und Menschsein ausmacht, versus ein trans­humanistisches Dr.‑No-Weltbild, welches uns ins Haus stehen könnte und das Ende der Kunst, wie wir sie kennen, bedeuten würde. Die Geschichte hat außerdem eine große Brisanz bekommen durch die aktuellen zeitgeistlichen Umstände, diesen dystopischen Wahn, den wir seit über einem Jahr durchleben müssen“, sagt Groissböck. 

Als Wassermann in Dvořáks „Rusalka“ gab Günther ­Groissböck im September 2019 sein gefeiertes Debüt am Theater an der Wien. Foto: Herwig Prammer

Tristan und Isolde als gequälte Pro­banden

So viel sei verraten: Zu Beginn erlebt man Tristan und Isolde als gequälte Pro­banden und König Marke als Leiter des Experiments. Bereits im Vorspiel geschieht eine Art Menschwerdung dank der Begegnung der beiden, die sich im Lauf des Stücks zu historischen Figuren verwandeln. 

Intendant Roland Geyer animierte Groiss­böck am Rande der „Rusalka“-Produktion 2019 zur Regie. Der Sänger schlug dafür überraschend den „Tristan“ vor. „So unmöglich ist das gar nicht. Es ist eigentlich eine sehr intime Sache“, meint er, vorausgesetzt man finde eine passende Form. In der Kammeroper sitzen daher rund 20 Musiker im Graben. Und das knapp vier Stunden dauernde Werk wurde auf drei gekürzt. 

„Im Stück ist so viel an lyrischer Qualität, an philosophischen Details und Poesie drin, die sonst meist verloren gehen.“

Günther Groissböck über Tristan und Isolde

Günther Groissböck glaubt an die Vorzüge einer solchen Fassung. „Im Stück ist so viel an lyrischer Qualität, an philosophischen Details und Poesie drin, die sonst meist verloren gehen. Da stehen dann zwei Leute auf der Bühne, brüllen aufeinander ein. Und man sagt sich: Wir wissen eh, ihr habt euch gerne! Natürlich ist auch das großartig. Aber etwa die Wahnvorstellungen Tristans im dritten Akt – wenn man versucht, die genauer zu verstehen, und im Wagner’schen Wortsinn deutlicher macht, bekommt das eine ganz neue Qualität!“

Zur Person: Günther Groissböck

Geboren in Waidhofen an der Ybbs, hat der 44-Jährige bei ­den Größen Robert Holl und José van Dam studiert. Im Salzburger Rosenkavalier überraschte er 2014 als grandios untypischer Ochs auf Lerchenau. In Bayreuth hätte er 2020 seinen ersten Wotan gesungen. Soll diesen Sommer nachgeholt werden.

Weiterlesen

Marcel Heuperman: Frei von allen Hemmungen

Alle Infos zum Tristan Experiment am Theater an der Wien