„Ich verlange, dass die Werke Elfriede Gerstls die nächsten hundert Jahre (und noch viel länger) gelesen werden. Das ist eine Stimme in der österreichischen Literatur, die nie verstummen darf. Diese gellende Leichtigkeit, diese zarten, aber durchdringend leisen Gedanken dürfen nicht in Vergessenheit geraten“, schreibt Elfriede Jelinek über ihre 2009 verstorbene Kollegin Elfriede Gerstl. Die beiden Schauspielerinnen Martina Spitzer und Johanna Orsini hatten die lange aus dem Literaturkanon verschwundene Autorin schon seit geraumer Zeit im Visier und haben dieses über lange Zeit gewachsene Interesse nun zum Anlass genommen, mit „wannst net sterbst sehn ma uns im nächsten herbst“ einen Theaterabend mit Texten der Wiener Schriftstellerin zu entwickeln. Premiere ist am 21. Mai im Theater an der Gumpendorferstraße (TAG).

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Ich habe begonnen, mich mit ihren Texten zu befassen und bin total in diese Welt hineingekippt.

Martina Spitzer
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Einer der ersten – und damit noch sehr frühen – Ausgangspunkte für den gemeinsamen Abend war der Auftrag des Literaturhauses Niederösterreich an Martina Spitzer, eine Elfriede Gerstl - Lesung zu machen. „Ich habe begonnen, mich mit ihren Texten zu befassen und bin total in diese Welt hineingekippt“, erinnert sich die Schauspielerin. Die Lesung konnte aufgrund der Pandemie nicht stattfinden, doch Spitzer war „wie infiziert von diesen Texten“. Ein Arbeitsstipendium der Stadt Wien stieß schließlich die Entwicklung des Theaterabends an, den die beiden Schauspielerinnen als Live-Radiosendung anlegen. Doch dazu später mehr.

Zur Person: Johanna Orsini

Geboren 1968 in Klagenfurt. Studium der Violine an der Musikhochschule Wien, Schauspielausbildung am Mozarteum Salzburg. Theaterengagements u. a. am Burgtheater Wien, bei den Salzburger Festspielen, am Deutschen Theater Göttingen, am Volkstheater Wien, Schauspielhaus Graz, Stadttheater Klagenfurt, Theater Rabenhof, TAG Wien und Landestheater Linz. Neben ihren Engagements an verschiedenen Bühnen produzierte sie zahlreiche Eigenproduktionen und hatte Gastspiele im In- und Ausland. Außerdem ist sie auch in Film und Fernsehen zu sehen.

Beziehungsarbeit

„Am Anfang haben wir noch gar nicht an das Ergebnis gedacht. Trotzdem sind gleich Fantasien und Bilder zur Umsetzung auf der Bühne entstanden“, erklären die beiden Theatermacherinnen beinahe unisono. Auch der Ansatz, das Stück gemeinsam einsam, also zu zweit, zu entwickeln, war von Anfang an da. „Der Grund dafür ist nicht, dass wir die Regie verachten“, merken sie lachend an. Durch diese sehr intime Arbeitsweise fanden Beobachtungen und Lernprozesse statt, die sie in dieser Form bislang noch nie erlebt haben. „Man ist nicht nur sehr mit sich selbst und den eigenen Macken konfrontiert, sondern es ist auch eine Beziehungsarbeit und als solche sehr bereichernd“, erklärt Johanna Orsini. Darüber hinaus muss auch der Blick von außen immer mitgedacht werden, fügt die Schauspielerin hinzu. Aber nur, „um ihn dann auch wieder komplett loszulassen und einfach zu spielen.“

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Beiläufigkeit mit Schärfe

Zur Infizierung mit dem Gerstl-Virus hat vor allem die besondere Mischung aus Tiefgründigkeit, Abgründigkeit und Humor in ihren Texten beigetragen, fasst Martina Spitzer zusammen. Als „Künstlerin der Untertreibung“ gelang es ihr, Dinge oft sehr beiläufig zu sagen, sie gleichzeitig aber auch mit einer gewissen Schärfe auf den Punkt zu bringen. So kommentierte sie ihre eigene Arbeit einmal folgendermaßen: „alles, was man sagen kann, kann man auch beiläufig sagen.“

Johanna Orsini erzählt, dass sie Elfriede Gerstl auch persönlich kannte. Vor 25 Jahren war sie hin und wieder in ihren Kleidersalons zu Gast, die auch von Elfriede Jelinek immer wieder besucht wurden. „Damals war sie für mich eher eine verschrobene alte Dame, die aber auch sehr frech und lustig sein konnte. Ich war damals allerdings auch sehr jung. Dass sie eine unglaublich tolle Autorin ist, habe ich erst später entdeckt.“

Zur Person: Martina Spitzer

Geboren und aufgewachsen im Innviertel, OÖ. Ihre Theaterengagements führten sie u. a. ans Volkstheater Wien, Schauspielhaus Wien, Theater in der Josefstadt, Luzerner Theater, Landestheater Linz, Landestheater Niederösterreich, Stadttheater Klagenfurt, Rabenhof Wien, Festspiele Reichenau und Werk X Wien. Seit 2004 kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Regisseurin Susanne Lietzow und der Schauspielerin Maria Hofstätter. Außerdem wirkt Spitzer in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mit.

Denkkrümel

Bei der Textauswahl half den beiden Theatermacherinnen die Werkausgabe, die von jeder der beiden erstmal „durchgeackert wurde“. Mit den Überschneidungspunkten, die für Orsini und Spitzer oft auch besondere Berührungspunkte waren, fand dann die weitere Arbeit statt. Dabei beschränkten sie sich keinesfalls auf szenische Texte, sondern blieben stets für alle Genres offen, von denen Elfriede Gerstl sehr viele bediente. Auch ihre sogenannten „Denkkrümel“ spielen in der Inszenierung eine besondere Rolle. An einige davon werden sich Johanna Orsini und Martina Spitzer auch über ihren Theaterabend hinaus noch lange erinnern. An „manchmal passe ich nicht in mein weltbild“ zum Beispiel. Oder auch an „ärger als arg kanns eh nicht werden“.

Gellende Leichtigkeit: Elfriede Gerstls Texte im TAG
Martina Spitzer und Johanna Orsini hatten Elfriede Gerstls Texte schon seit einiger Zeit im Visier.

Foto: Katsey

Eine Live-Radiosendung in einem prekären Aufnahmestudio als dramaturgischen Überbau auszuprobieren, war für Spitzer und Orsini auch deshalb schlüssig, weil es ihnen ermöglicht, dem Publikum einen großen Überblick über Elfriede Gerstls literarisches Schaffen zu vermitteln. Die beiden Schauspielerinnen sind, gemäß des „alle machen alles“-Prinzips, nicht nur Sprecherinnen, sondern auch Tonmeisterinnen und Moderatorinnen.

Elfriede Gerstl sagte einmal, dass sie zu einer Zeit feministisch argumentiert hätte, als sie das Wort Feminismus noch gar nicht kannte.

Martina Spitzer

Auf thematischer Ebene möchte Johanna Orsini nicht unerwähnt lassen, dass sich Elfriede Gerstl schon sehr früh und auch sehr intensiv mit dem Frausein beschäftigte – auch mit heute noch häufig tabuisierten Themen wie Krankheit, Alter und Tod. Martina Spitzer fügt hinzu, dass Elfriede Gerstl in einem Interview einmal sagte, dass sie zu einer Zeit feministisch argumentiert hätte, als sie das Wort Feminismus noch gar nicht kannte. Welch große Aktualität ihre Texte, Sätze und Satzschnipsel auch in diesem Zusammenhang haben, möchten Martina Spitzer und Johanna Orsini mit ihrem Theaterabend ebenfalls zeigen. „Wir haben auch ein Hörstück in der Inszenierung, in dem sich Frauen in einem Kaffeehaus unterhalten. Man merkt zwar, dass es in einer anderen Zeit geschrieben wurde, aber im Grunde ist die Art und Weise, wie sie über ihre Beziehungen sprechen, ganz aktuell“, merkt Johanna Orsini lachend an.

Zu den Spielterminen von „wannst net sterbst sehn ma uns im nächsten herbst“!