Wenn A spielt und B zusieht, spricht man laut Minimalformel von „Theater". Diese Formel gilt vom kleinen, regionalen Amateurtheater bis zum großen, etablierten Staatstheater. Letzteres findet in der Regel mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit. Dabei sind es gerade die kleinen Bühnen und die freie Theaterszene, die die gesamte Theaterlandschaft auf besondere Weise bereichern.

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Blut lecken auf der kleinen Bühne

Es ist kurz vor 20 Uhr. In den Regalen der kleinen Universitätsbibliothek stapeln sich Bücher über Theatergeschichte, Filmentstehung und Dramaturgie. Alltag für Schauspielstudent Stefan Reis. Ein langer Tag jagt den anderen und doch funkeln seine Augen vor Begeisterung, spricht er über seine Ausbildung und seinen Weg in die Theaterwelt. Schon als Kind hat es ihn fasziniert Dialoge zu starten und die eigene Imagination mit anderen Menschen zu teilen. Blut geleckt hat er dann in einem kleinen Freilichttheater mit Kinder- und Jugendclub: „Diese Energie, die man vom Publikum zurückbekommt, dass da eine Präsenz entsteht durch diese Aufmerksamkeit, das war dann schon ein tolles Gefühl.”

So wie Stefan geht es vielen jungen Nachwuchsschauspielern: Erste Erfahrungen werden auf kleinen Bühnen gesammelt. Das Feuer vor regionalem Publikum entfacht und zu einer Begeisterung geschürt, die schlussendlich vielleicht sogar auf die großen Bühnen des Landes führt. Die Leidenschaft sollte laut Stefan dabei zu jedem Zeitpunkt die gleiche bleiben. Lediglich die resultierende Spielfreude wandelt sich.

Während sie im Amateurbereich immer vorhanden sein sollte, meint Reis, ist sie auf einer professionellen Bühne manchmal gar nicht erwünscht. So könnten Rollen, die emotional eher von Wut oder Trauer geprägt sind, durch eine zu große Spielfreude eher gehemmt, anstatt unterstützt werden, sagt der Jungschauspieler.

Ausprobieren, scheitern, wachsen

Stefan Reis durchlebte selbst diesen Wandel seit seiner Zeit am Amateurtheater. Freie Zeit, die zuvor genutzt werden konnte, um sich selbst auszuprobieren, Dinge aus einem Gefühl heraus instinktiv richtig oder falsch zu machen und zu spielen, lediglich um des Spielens willen, ist einem Bewusstsein auf und jenseits der Bühne gewichen. Nun gehe es verstärkt um eine intensive Auseinandersetzung mit dem Stück, dem Autor und dessen Botschaft oder den erlernten Techniken.

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Wie nimmt Reis seine künstlerische Entwicklung wahr, da er fast am Ende seiner Schauspielausbildung angekommen ist? Wäre ein vergleichbarer Weg auch ohne jene Erfahrungen auf den Amateurbühnen möglich gewesen? Reis überlegt: „Vielleicht. Doch sicher ist: ohne Amateurtheater wäre es zumindest anders verlaufen."

Stefan Reis ist Nachwuchsschauspieler. An den freien Theatern schätzt er vor allem auch die Möglichkeit, sich in unterschiedlichen Sparten auszuprobieren.

Foto: privat

Theater „ohne Hierarchien denken“

Wie würde sich die Darstellende Kunst ohne das Engagement der freien Theaterszene verändern? Für den Intendanten des Salzburger Landestheater Carl Philip von Maldeghem wäre das auf keinen Fall wünschenswert. Beides gehört zusammen und das Eine wäre ohne das Andere nicht dasselbe: „Ich denke man sollte dieses grundsätzliche Interesse der Menschen an dem Spiel oder der Verstellung, eben auf der Bühne eine andere Welt zu imaginieren ohne Hierarchien denken. Das gibt es überall, in kleinen Dörfern und in großen Städten. Und ich finde, das ist das Faszinierende.”

Maldeghem ist selbst oft im Publikum eines kleinen Theaters zu finden und oft vom Engagement und der dargebrachten Leistung beeindruckt, sagt er: „Es mag ein Unterschied sein, dass Schauspieler auf einer professionellen Bühne sehr viel mehr Bewusstsein haben für das was sie da tun, das heißt aber nicht, dass sie es besser machen. Ich habe gerade im Amateurbereich ganz oft Leute erlebt, die einfach aus einer Art Theaterinstinkt heraus großartige Momente erschaffen.”

Freie Theaterszene als Fundament

Die Unterschiede, was das Fundament der Schauspielerei betrifft, sind also gar nicht so groß. Während Kleinkunstbühnen jedoch meistens durch ehrenamtliches Engagement bestehen, spielt der Verdienst in großen Theaterhäusern eine nicht wegzudenkende Rolle. Eine wichtige Funktion, hier sind sich Reis und Maldeghem einig, liegt nicht nur in der Förderung der Künstler und Theatermacher. Auch im Publikum werden das Feuer und die Begeisterung für das Schauspiel oft durch regionale Bühnen geweckt. Das Publikum der großen Häuser entsteht also zunächst oft in den kleinen Laientheatern.

Und die freien Bühnen sind auch abseits der Schauspielerei eine „Spielbühne“ für junge Talente. Für Stefan Reis war es im Amateurtheater möglich, in alle Bereichen Einblicke zu gewinnen und Erfahrungen zu sammeln. So können sich Berufswege und Interessen noch transformieren und neu ausformen. Denn der Spezialisierungsgrad in den großen Theaterhäusern ist dann bereits so hoch, egal ob es sich dabei um Regisseur, Schauspieler, Requisit oder Bühnenbauer handelt, dass jeder seinen festen Platz hat.

Das heiße jedoch umgekehrt nicht, dass keine Gemeinschaft in großen Häusern entstehen könne, betont von Maldeghem. Der oft verwendete Begriff der „Theaterfamilie“ sei auch im Landestheater stark zu spüren – und zwar weit über den engen Kern der Schauspieler hinaus. „Amateurtheater bieten wirklich an jedem Ort die Möglichkeit sich mit Theater auseinanderzusetzen. Ich würde dafür appellieren, dass wir die Gemeinschaft aller Theaterschaffenden begreifen", sagt von Maldeghem.

Vernetzung der Theaterszene in Salzburg

In Salzburg wird diese Gemeinschaft über die gesamte Theaterszene hinweg schon seit längerem gefördert und bewahrt. Bei den regelmäßigen Kulturfrühstücken findet ein reger Austausch statt. Ziel ist es, voneinander zu profitieren und zu lernen. Mehr als nur einmal erlebte Maldeghem dort die Entstehung toller Ideen, quer durch alle Bereiche der Theaterwelt: „Ich glaube, dass der magische Moment dann beginnt, wenn Theater die Menschen verbindet. Egal ob in einem Amateurtheater oder auf einer professionellen Bühne.”

Weitere Infos: Landestheater Salzburg

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