Präzise wird jede Bewegung ausgeführt

Konzentriert wird die Choreografie umgesetzt. Schritt für Schritt. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Alles muss exakt sein. Jeder arbeitet für sich, und gemeinsam sind sie ein Körper. Ein Ballett, das Tonnen bewegt und Illusionen erzeugt, das man aber nur sieht, wenn man hinter die Kulissen der Wiener Staatsoper schauen darf.

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Ziemlich divers ist es, dieses Ballett. Statt Tutu wird hier Blaumann getragen, und statt in Spitzenschuhen stecken die Füße in antistatischen Sicherheitsschuhen mit verstärkten Kappen. Optisch ist es eher Rammstein zuzuordnen als einer Inszenierung des Ballettdirektors Martin Schläpfer, und statt des eigenen Körpers werden gerade riesige schwarze Lavasteine aus Styropor in Position gebracht.

Willkommen in der Welt von Peter Kozak, dem Technischen Direktor der Wiener Staatsoper.

Zur Person: Peter Kozak

Er studierte Maschinenbau und baute Dieselmotor- anlagen. Durch Zufall kam er 1985 an die Wiener Staatsoper. Gegenwärtig ist er Technischer Direktor und wird 2025 in Pension gehen. 361 Mitarbeiter*innen hören auf sein Kommando. Neben der Technik und den Bühnenarbeitern gehören zu seiner Abteilung auch Maske und Ausstattung.

Am Anfang war der Faustball

Er ist der Mann, von dem Georg Herwegh geträumt hat, als er 1863 das Arbeiterlied mit den berühmten Zeilen „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ komponiert hat. Kozak ist Chef von 361 Mitarbeiter*innen und derjenige, dessen „Njet“ tatsächlich alle Räder zum Stillstand bringen könnte. Es ist ein erstaunlicher Job, den Kozak hier macht. Für Nicht-Insider liegt die Betonung vor allem auf dem Staunen.OhneKozakundseinTeamwürdenalldie Ideen der Regisseure und Bühnenbildner einfach nur irreale Synapsenschaltungen bleiben. Fantasiegebilde. Kozaks Leute bringen all die Wünsche in die Reali- tät. Machen sie möglich, spektakulär, herzergreifend oder einfach nur wunderschön.

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Applaus gibt es dafür keinen.

Wir treffen Peter Kozak in seinem Besprechungszimmer im zweiten Stock. Es befindet sich ganz links, wenn man den Stiegenaufgang via Herbert- von-Karajan-Platz kommt. Seit 1985 ist Kozak am Haus. Maschinenbau hat er studiert, dann Dieselmotoranlagen projektiert, vom Skilift bis zum Schiffsmotor. Die Randsportart Faustball bringt ihn schließlich zur Oper. „Ein Vereinskollege hat hier am Haus als Bürodiener gearbeitet und mir gesagt, dass sie jemanden suchen.“ Ein Jahr später sitzt Kozak schon am Zeichenbrett und arbeitet an Gounods „Margarethe“, „und aus dem Lautsprecher ist der ‚Rosenkavalier‘ gedudelt. Ich dachte mir damals: Da wirst du nicht alt.“

„Ätschi, bätschi“, hat die Staatsoper gekontert oder vielleicht auch wienerischer mit einem saloppen „Schau ma mal“, denn Kozak ist geblieben. 1994 hat er sich im Übrigen auch mit dem „Rosenkavalier“ versöhnt.

„Ich war das erste Mal mit auf Japan-Tournee und habe ihn mir ganz bewusst angeschaut und gedacht: Die Oper ist gar nicht so übel, da sind doch wunderbare Melodien drinnen.“ Kozak grinst, macht eine Pause und setzt nach: „Mittlerweile mag ich den ‚Rosenkavalier‘ sogar sehr gerne ...“

Der Plan für diese BÜHNE-Story: Wir wollen uns anhand von Barrie Koskys „Don Giovanni“- Produktion Peter Kozaks Arbeit und die Abläufe hinter den Kulissen erklären lassen.

Versteckte Geheimnisse der Bühne

„Na, dann kommen Sie mit!“ Wir folgen Kozak. Zuerst den Gang entlang, und nach ein paar Schlenkern stehen wir plötzlich auf der Hinterbühne der Wiener Staatsoper. Der Zuschauerraum ist völlig leer. Im Orchestergraben sitzt ein einzelner Mann am Klavier und spielt virtuos vor sich hin. Es ist Philippe Jordan, der Musikdirektor des Hauses. Er hat sich in der Uhrzeit geirrt und ist zu früh zur „Parsifal“-Probe gekommen. Es hat etwas Surreales: Wir stellen uns in die Mitte der Bühne, jetzt sehen wir das, was sonst nur die Sänger*innen sehen. Der erste Eindruck: der unglaubliche Zuschauerraum, die Größe und Erhabenheit dieses Perspektivenwechsels. Man fühlt sich plötzlich sehr klein.

Das Bühnenfenster ist umrahmt von Scheinwerferbatterien, 28,7 Meter geht es nach oben.Drei Schnürböden gibt es, dort ist alles befestigt, was von oben runterhängt. 400 Kilo können die einzelnen Latten tragen.

Peter Kozak lässt sich in einen schwarzen Kunst- leder-Bürostuhl fallen. Auf dem sitzt sonst Elīna Garanča. Das und Jordans Klavierspiel berühren, aber wollten wir nicht anhand von „Don Giovanni“...?

Da ist es schon wieder, dieses Kozak-Lächeln. Er steht auf, winkt uns einmal mehr. Er lässt uns durch einen etwa 20 Zentimeter breiten Spalt auf der Hinterbühne schauen. 11,5 Meter geht es hier nach unten. Ein Raum wie eine Kathedrale. In der Mitte am hinteren Ende „schwebt“ das Bühnenbild von „Don Giovanni“. Hier wird es also verstaut, während vorn auf der Bühne „Parsifal“ geprobt wird.

Das Problem mit dem „Brunzerlwasser“

In drei Schichten – täglich von 6.30 Uhr bis 23 Uhr – sind die Bühnenarbeiter im Einsatz: eine Schicht in der Früh, eine am Abend und eine Springerschicht, die nach Bedarf der Früh- oder der Nachmittagsschicht zugeordnet wird. Die Regel ist simpel: Große Vorstellungen am Abend bedeuten eine kleinere Probe am Vormittag, Endproben am Vormittag heißt kleinere Vorstellung am Abend. Warum? Weil es sich sonst nicht ausgeht.

Ein wenig ist es hinter der Bühne wie auf einem U-Boot: Jeder zusätzliche Mensch steht im Weg. So wie wir. Jede Minute des Tages ist durchge- taktet. Leerläufe gibt es nicht. Normalität an einem Repertoirehaus, an dem jeden Tag etwas anderes gespielt wird – 300 Vorstellungen pro Jahr. Drei bis vier verschiedene Opern pro Woche. Nur am 24. Dezember und am Karfreitag ist Ruhe.

Etwa 50 Bühnenarbeiter sind immer am Haus. Es gibt die Bühnenmeister, die Seitenmeister, die Vorarbeiter, die Arbeiter, die Transportmeister.

Kozak dreht sich zu uns: „Keine Sorge, es gibt einen Masterplan, wo jedes Trumm mit seiner Nummer vermerkt ist, und anhand dieses Planes wird das alles zusammengebaut.

„Don Giovanni“? Unser roter Faden geht uns verloren, weil so viel Spannendes auf uns einprasselt. Wussten Sie etwa, dass der eiserne Vorhang auch vor Feuer, aber eigentlich vor dem Rauch, der bei Brand entsteht, schützen soll?

Zwei Jahre vor der jeweiligen Premiere findet das erste Treffen des Leading Teams mit dem Technischen Direktor statt. „Da wird geklärt, in welche Richtung es gehen soll.“ Manche Regisseure brauchen kleine echte Bühnenmodelle. Andere, wie etwa Herbert Fritsch, programmieren 3D-Animationen am Computer. Seine Farbwände in der „Barbiere“- Produktion, die sich im Takt bewegen, wurden am Computer programmiert. Alles gut, solange der Dirigent immer in jenem Tempo dirigiert, das eingespeichert wurde. Kozak: „Auf Einsatz eines Inspizienten, der die Partitur mitliest, werden die einzelnen Blöcke anhand des Tempos des Orchesters gestartet.“

Bei „Don Giovanni“ wollte das Regieteam um Barrie Kosky ein Wasserbecken. Erste Idee: Der im ersten Akt ermordete Komtur soll am Ende dort auftauchen. Dafür hätte er aber mindestens eine Stunde unter Wasser verbringen müssen – Neoprenanzug und Sauerstoffflasche inklusive.

Nächste Idee: Don Giovanni soll im Wasserbecken ertränkt werden. Dafür hätte es eine Wassertiefe von zwei Metern gebraucht. Zuletzt maß das Becken 50 Zentimeter an der tiefsten und 5 Zentimeter an der seichtesten Stelle.

Alles wunderbar, bis der Arbeitsinspektor eine Wassertemperatur von 36 Grad einforderte und die Sänger sich weigerten, in das „Brunzerlwasser“ zu steigen. „Wasser ist immer ein Problem, weil im Hubboden so viel Elektronik eingebaut ist. Wissen Sie, ich muss oft Nein sagen, das ist eine undank- bare Rolle.“ Peter Kozak schaut nachdenklich. „Für mich ist völlig unwesentlich, ob mir eine Idee gefällt oder nicht. Wir sind dazu da, Dinge umzusetzen. Insofern ist es auch kein Problem, wenn wir beim Schlussapplaus nicht auf der Bühne sind. Dadurch kriegen wir auch keine Buhrufe ab.“

Jetzt ist es wieder da, dieses Spitzbubenlächeln. Beim Rausgehen dreht er sich noch einmal zum „Parsifal“-Bühnenbild um. „Wissen Sie, das taugt mir. Das ist 80 Prozent Stahlbau. Das ist Heavy Metal.“ Wir bedanken uns – auch dafür, dass Peter Kozak uns am Ende offensichtlich seinen privaten Musikgeschmack verraten hat.