„Enthüllet den Gral, öffnet den Schrein!“, sang Jonas Kaufmann bei der „Parsifal“-­Premiere im vergangenen April in die verschlossene Wiener Staatsoper – immerhin vor gierigen Streamerinnen und Streamern. Beim Wiener Publikum genoss das Werk zumindest in der alten Inszenierung den Status eines Gottesdienstes. Eine soignierte Dame wünschte meinen Rat: „Was empfehlen Sie mir? Soll ich am Ostersonntag in den Stephansdom oder in den ‚Parsifal‘ gehen?“

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Mit Abwesenheit glänzen

Ich erinnere mich an eine Aufführung an der Staatsoper unter der Leitung des ebenso taktsicheren wie cholerischen Horst Stein, der Pannen nicht ausstehen konnte. Doch dieser „Parsifal“ beinhaltete deren mehrere, wobei sängerische Überforderungen unerwähnt bleiben mögen. Erwähnenswert: Just bei den Worten „Da brach ein Unglück wohl herein“ stürzte ein überhitzter Stehplatzbesucher lautstark in sich zusammen und musste unter wenig weihevoller Geräuschentfaltung abtransportiert werden; und im Finale des ersten Aufzuges (nach dem nicht geklatscht werden soll, weil ja alles so voller Weihe ist) glänzte Gurnemanz durch Abwesenheit.

Er hätte den Titelhelden fragen sollen: „Weißt du, was du sahst?“, war aber irgendwo zwischen Garderobe und Kantine verschollen. Der mutterseelenalleinige Parsifal-Darsteller Siegfried Jerusalem zuckte an der betreffenden Stelle also bloß weihelos die Achseln und schlenderte ab, Maestro Stein aber erlitt noch während des Vorhangfalls einen seiner unbeliebten Wutausbrüche.

Doch rund drei Stunden später wurde der Gral enthüllt, und alles war wieder gut.

Offene Herzen und offener Mund

Auch Operette und Musical öffnen die Herzen. In „Die lustige Witwe“ überschätzen die Verehrer der Titelheldin ihre Heiratschancen gewaltig. Cascada fragt: „Madam’, darf jetzt ich hoffen?“, und Saint-Brioche reimt euphorisch: „Ich seh den Himmel offen!“

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Im Anschluss an eine Aufführung der „Lustigen Witwe“ in Langenlois wurde meine Frau Cornelia vom Kompliment eines Besuchers überrascht: „Sie spielen des so authentisch … san Sie scho Witwe?“ Da stand ihr immerhin der Mund offen …

„Another Op’ning, Another Show“

Im Englischen ist „Opening“ überhaupt der Begriff für Premiere. Der Klassiker „Kiss me, Kate“, mit dem 1956 die Musicalpflege in Österreich begann, wird mit dem Song „Another Op’ning, Another Show“ eröffnet, der im Deutschen den Titel „Premierenfieber“ erhielt. An einen Premierenerfolg glaubte der damalige Volksoperndirektor Franz Salmhofer allerdings überhaupt nicht. Zu Beginn der Proben rief er den Darsteller des Petruchio, Fred Liewehr, in sein Büro: „Fredi, hör dir den Schmarren an, und so was sollst du singen!“

Dann klopfte Salmhofer möglichst lieblos die Walzerparodie „Wunderbar“ in die Tasten. Noch während des Pausenjubels soll der Direktor in Liewehrs Garderobe gestürmt sein mit den Worten: „Was hab ich dir gesagt, Fredi? Ein Triumph!“

Also bleibt hoffentlich alles offen für weitere Theatertriumphe – wir sehnen uns danach.

Zur Person: Christoph Wagner-Trenkwitz

Alter: 58 Jahre
Wohnort: Wien 
Biografie: Dramaturg, Musik­wissenschaftler, ­Buchautor (und legendärer Opernball-Kommentator). Er ist Intendant der Operette Langenlois und seit 2009 Chefdramaturg an der Volksoper in Wien.

Weiterlesen: Die Kolumnen von Christoph Wagner-Trenkwitz

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