Samstags kam Kirsten Dene über ­Jahre mit einem Blumenstrauß auf die ­Probe. Denn gleich danach fuhr sie auf den Grinzinger Friedhof, um ihn auf das Grab von Thomas Bernhard zu legen. So erzählt es Maria Happel, die Generalin in der „Jagdgesellschaft“, der naturgemäß wieder verschobenen Premiere in Bernhards geliebter „Dichtervernichtungs- und Schreianstalt“. 

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Rhythmus, Perfidie, Zynismus und Weltekel

Neben Dene, der so leise Verschwundenen, war ich einmal per Zufall zu sitzen gekommen. Sie wusste nicht, dass ich Journalistin bin, sonst wäre sie geflüchtet. Am Ende unseres Gespräches, in dem sie ihrer Leidenschaft zu Fußball und der japanischen Nationalhymne Aus­druck verlieh (die sie auch kurz ansang), sagte sie nur: „Ihr habt euch malen lassen / von einem dieser Rolls-Royce-Fahrer?“ Danach stand „Tante ­Hilde“, wie sie von sich selbst sprach, grußlos auf.

Es war ein nicht ganz wortgetreues Zitat aus „Ritter, Dene, Voss“, der legendären Familienhölle, und es hatte alles, was Bernhard ausmacht: Rhythmus, Perfidie, Zynismus und Weltekel als Make-up für eine uneingestandene, grenzenlose Verzweiflung. Dass er das Stück nach seinen Wunsch-Schauspielern benannte, entsprang auch seinem dia­bolischen Gemüt: maximale Risikominimierung, dass das Werk nicht von „einem sogenannten Publi­kumsliebling“ besetzt wurde. 

Die Sogwirkung von Thomas Bernhard

Thomas Bernhard-Texte sind wie von einem Metronom gesteuert, entfachen Sogwirkung, machen noch immer süchtig. „Die sind wie ­Partituren“, so Happel, die im Dramolett „Claus ­Peymann kauft sich eine Hose …“ zigmal aufgetreten ist. Wenn man mit echten Bernhard-­Kennern spricht, nämlich in dem Sinn, dass sie ihm auch leibhaftig begegnet sind, fallen immer die gleichen Adjektiva: hinterfotzig, charmant, flirtativ, perfide und sehr, sehr bösartig.

Um Ursachenforschung für ­Letzteres zu betreiben, sollte man „Ein Kind“ lesen. „Er hat uns zwei Tage lang einfach nicht aufgemacht“, erinnert sich Michael ­Horowitz, der Anfang der 1970er den Rad fahrenden Bernhard in seinem Ohlsdorfer Keller porträtierte. Horowitz war mit dem Kulturchef des „Spiegel“ angereist. Als das Duo am dritten Tag noch einmal, schon zermürbt, an das Holztor klopfte, stand er plötzlich da, in kurzen Hosen, und sagte sehr leise: „Meine Herren! Ich dachte schon, dass ihr so schnell aufgegeben habt.“ Die Küche, ausgestattet mit einem Super-­de-luxe-Herd, blieb immer ungenutzt. Es gab, wenn überhaupt, nur „diesen grauenhaften Dreieckskäse“ (Peymann), er meinte damit die Rupp-­Käsles, einen beliebten mittelständischen Snack der 1970er-Jahre. 

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„Was man liebt, muss man zerstören“

Wie grausam Thomas Bernhard sein konnte, erlebte der junge Peter Turrini in den frühen Sechzigern am Tonhof in seinem Heimatdorf Maria Saal, wo das Ehepaar Lampersberg (in „Holzfällen“ Auersberger) den jungen, abgebrannten Dichter über Wochen durchfütterte. 

Bis heute kann man dort das Gut und Bern­hards Schlafklause besichtigen. „Der dicke Tischlerbub“, wie Turrini von Bernhard verächtlich gemacht wurde, fragte Bernhard nach dem Erscheinen von „Holzfällen“, warum er seine damaligen Gönner der Lächerlichkeit ausgeliefert habe. Die knappe Antwort: „Was man liebt, muss man zerstören.“ Das Prinzip wandte er eigentlich auf alles an. Der legendäre ­Marcel Reich-Ranicki urteilte: „Wer ihn liebt, hat ihn unterschätzt. Wer ihn hasst, hat ihn zu wenig gelesen.“ 

Die Generalprobe zur „Jagdgesellschaft“, Bernhards Lieblingsstück, war, so ­Happel, ein „bisschen wie Rad fahren mit Leerlauf. Danach haben wir uns traurig auf die Schultern geklopft.“ Sie hofft sehr auf den Bratkartoffel-­Effekt: „Noch einmal angeröstet, werden sie besser.“ Naturgemäß.

Angelika Hagers Kolumne
Angelika Hager ist Journalistin und Autorin.

Foto: Rafaela Proell

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesell­schafts­ressort beim Nachrichtenmagazin „profil“. Sie ist die Frau ­hinter dem Kolumnen-­Pseudo­nym Polly Adler im ­„Kurier“. Hager gestaltet das Theaterfestival Schwimmender Salon im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich). 

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