Kommt sie? Kommt sie nicht? Mit Maria Happel befreundet zu sein ist nicht immer ganz einfach. Doch sieht man sie auf der Bühne, verzeiht man ihr alles.

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Irgendwann saß sie nachmittags bei mir, und wir tranken Kaffee, es war so gegen vier. Ich fragte sie: „Mizzi, musst du heute eigentlich spielen?“ Das Mizzi-Privileg habe ich mir nach doch ein paar Jahrzehnten erwirtschaftet. Es waren die Zeiten, als Maria Happel in durchschnittlich acht Produktionen auf der Bühne des Burgtheaters stand. „Gute Frage“, sagte sie und griff zum Telefon.

Die Liga der Vor­namenlosen

Stellvertretend stand ich unter Adrenalin: „Aber musst du nicht am Nachmittag Text machen?“ Sie sah mich milde an: „Schau, das musst du dir so vorstellen. Ich stehe in der Küche, und ich koche. Manchmal ist es Sachertorte, dann wieder Eintopf. Man kennt die Zutaten und die Schritte in- und auswendig, weil man es eben schon ein paarmal gemacht hat.“ Und dann schoss sie eine kehlige Mezzosopran-Lachsalve los.

Sie spielte übrigens an diesem Tag nicht, und das feierten wir mit einem „Sektchen“. Ihr erster Gesangslehrer hatte so recht, als er der damals Fünfzehnjährigen erklärte: „Was ist denn hier los? Du hast ja jetzt schon eine Stimme wie eine ­Puffmutter.“ Wenn diese Anekdote den Eindruck ­erwecken sollte, dass die Happel (längst hat sie es wie die Wessely oder die Dene in die Liga der Vor­namenlosen geschafft) ihrer Arbeit auf der Bühne mit einer gewissen Nonchalance begegnet, dann ist das eine absolute Fehlleitung. Die Happel hat den größten Respekt vor ihrem Beruf und dem Publikum.

Eigentlich ist die Bühne der einzige Ort, an dem ich mich wirklich erhole.

Maria Happel

„Eigentlich“, sagt sie, in eine Lachsalve gebettet, „ist die Bühne der einzige Ort, an dem ich mich wirklich erhole.“ Manchmal kann man natürlich auch in eine Produktion geraten, wo es etwas rumpelt: „Dann ist einem wiederum schnell klar: Das ist doch kein Hobby, das ist ein Beruf.“ Inzwischen ist noch „der Berg“ als Erholungszone dazugekommen, so ihr Kürzel für ein Refugium am Semmering, mit schwindelerregendem Blick ins Tal.

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Maria Happel, larger than life

Kennengelernt haben wir uns (Achtung: Veteran:in­nen-Geschichte) Anfang der 1990er-Jahre, als sie noch in einem Ballettsaal im neunten Bezirk wohn­te. Dass Larger-than-life-Menschen wie die Mizzi in einem ganzen Saal lebten, erschien einem schon damals durchaus nicht verwunderlich. Ich hatte sie zuvor das erste Mal in der Rolle der Marie in Paulus Mankers legendärem „Liliom“ am Burgtheater gesehen. Keine große Rolle, aber mit welchem ungeheuren Instinkt für die richtige Dosierung in der Komik sie die Figur des böhmischen Dienstmädchens („Und dann lass ich ihn, und dann lass ich ihn wieder nicht …“) zeichnete, setzte das gesamte Auditorium unter Strom.

Als Typ braucht man keine Angst vor dem Alter zu haben! Damit müssen sich die Schönheiten rumplagen.

Maria Happel

Bis heute kann man, ohne jetzt der Korruption durch äffische Sympathie verdächtig zu werden, aus tiefer Überzeugung schmettern: Die Happel ist die komödiantische Supermacht des Burgtheaters. Sie ist eitel, aber nur, wenn es um ihre Kunst geht. Egal ob sie unsere „Nymphen in Not“-Truppe im Rabenhof beehrt oder in höheren Weihen auf der Rampe der Burg Jelinek, Labiche, Thomas Bernhard oder ­Yasmina Reza spielt: Wenn es die Rolle braucht, wenn es für die Figur stimmig ist, trägt sie Schweinsschwänzchen von Zwirbellocken und die abartigsten Kleider. Mit Schönsein hat sie sich nie aufgehalten: „Ich war immer ein Typ. Nicht hübsch im klassischen Sinn, sondern das, was man in Wien rassig­ nennt.“ Als Typ weiß man schon früh, wo man auf dem Spielfeld nichts gewinnen, aber vor allem, wo man mit vollem Karacho punkten kann: „Als Typ braucht man außerdem keine Angst vor dem Alter zu haben! Damit müssen sich die Schönheiten rumplagen.“ Doppelte Lachsalve.

Das pralle Leben unter einen Hut bringen

Zwar hatte sie schon im Knirpsinnen-Alter an der Dorforgel bei den Messen im Spessart die Kunst des Multitaskings geübt, aber manchmal fragt man sich, wie die Frau alles unter einen Hut bringt: Spielen, Drehen, die Direktion des Reinhardt Seminars, den Umzug, die Töchter, einen Haushalt, in dem es präpandemisch immer von Menschen wimmelte, zwischendurch macht sie noch Charity-Veranstaltungen und regt sich über die Ungerechtigkeiten dieser Welt auf, was ihrem Blutdruck nicht immer guttut.

„Wir müssen sofort was machen, ich hab schon alles versucht, aber fällt dir noch was ein?“, rief sie mich hell entsetzt um Mitternacht an, als die beiden georgischen Mädchen knapp vor der Abschiebung standen. „Sind denn die alle verrückt geworden?“

Man darf es wirklich nicht persönlich nehmen, wenn sie ab und zu (und immer seltener) eine Verabredung einfach vergisst: „Wenn ich mich auf etwas konzentriere, blende ich alles andere manchmal einfach aus.“ Aber es wurde schon wesentlich besser. Sie notiert sich sogar schon Dinge. Inzwischen geht sie auch schon manchmal ans Handy, wenn man sie anklingelt. Früher hatte sie zwei Mobiltelefone und ein Festnetz, an denen man sie in aller Ausführlichkeit nicht erreichen konnte.

Das hatte nichts mit Diven-Allüren zu tun, sondern einfach mit der Tatsache, dass ihr das pralle Leben ständig um die Ohren pfiff: Abgesehen von den acht Rollen war da der Hund von Paula, der doch nicht, wie ausgemacht, den Allergiker-TÜV hatte – die Happel leidet an einer Hundeallergie. Oder es galt eine pinke Stretchlimousine zum Geburtstag ihrer Tochter Annemarie zu ordern, „die sich zu ihrem Geburtstag nichts sehnlicher wünschte, als in so was mit ihren Freundinnen eine Stunde durch die Stadt kutschiert zu werden“. Dass die Annemarie übrigens Annemarie heißt, ist nicht dem Faible der Happel-Nockers für altmodische Vornamen zu verdanken. „Ich träumte schwanger davon, dass mir meine Tochter erschien und sagte: ‚Nur dass ihr es wisst: Ich heiße Annemarie.‘ Und sie sah in dem Traum nicht so aus, als ob sie irgendeine Form von Widerrede gut fände.“

„Wir müssen die Menschen berühren, sonst haben wir unseren Beruf verfehlt", sagt Maria Happel.

Foto: Luise Reichert

Zwischen Familie und Kunst

Das Leben jenseits der Bretter erscheint ihr in jedem Fall anstrengender als das auf ihnen. In Wahrheit bräuchte die Happel eine Mischung aus Schutzengel, Buchhalterin und Kammerzofe, die über ihr gütigen Blickes schwebt und ihr die langweiligen Dinge des Lebens, vor allem den organisatorischen Papierkram, abnimmt. Dass die zwei Töchter so im Leben stehen (Paula debütierte kürzlich in der Josefstadt, Annemarie dreht noch eine Schulrunde), hat sie vor allem deren Vater und ihrem Mann, dem Schauspieler Dirk Nocker, zu verdanken: „Der Dirk ließ mir gentlemanlike den Vortritt. Er hat den Preis gerne dafür bezahlt, beruflich zurückzustecken, um dafür mehr Zeit mit den Kindern verbringen zu können. Die Zeit kann ihm auch niemand mehr wegnehmen.“ Eine auch noch im 21. Jahrhundert ungewöhnliche Konstellation. Klar wamsen ihr die Töchter auch immer wieder rein, dass sie zu wenig da war. Aber das ist insofern egal, als dass Töchter ihren Müttern sowieso immer gerne ausführlich Vorwürfe machen.

Wer sie immer erreichen kann, ist die Familie. Kaum betritt die Happel eine Theatergarderobe, beginnt sie, egal wie lang man sich nicht gesehen hat, in ihrem Handy zu wischen oder mit ihren Töchtern oder dem Mann zu kommunizieren. „Wie geht’s denn so, Mizzi?“ – „Moment, ich muss noch einen Anruf, aber dann …“ Dann ist meistens nie.

Schnellste Textlernerin

Die Happel hat die schnellste Auffassungsgabe, die ich je bei Schauspieler:innen gesehen habe. Das hat ihr die legendäre Gusti Wolf einmal nicht ­verziehen. Deren kirschrot übermalter Herzchenmund verzog sich schmerzhaft im Krankenbett, als ihr gemeldet wurde, dass ihre Einspringerin in einer Nacht ihre Rolle in „Harold und Maude“ auswendig gelernt und damit auch noch einen Triumph gefeiert hatte. Bei den Lesungen, die sie für unser Festival „Schwimmender Salon“ als Alma Mahler, Adele Sandrock, Martha Freud (und hoffentlich heuer als intrigante Rokoko-Marquise) bestritt, machte sie die Sätze bereits nach dem allerersten Blickkontakt lebendig, wirbelte sie durch die Luft und setzte punktgenau zur Landung an. Die jeweiligen männlichen Partner brauchten da wesentlich längere Anfahrtszeiten. Dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit das jeweilige Manuskript erst bei der Probe so richtig zu Gesicht bekam, ist nicht spürbar. „So gesehen bin ich, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit, immer gut vorbereitet." Lachsalve. Wenn man Glück hat, verschwendet Maria Happel ihren Mezzosopran auch bei Partys und schmettert auf Dächern weit über Wien „Non, je ne regrette rien“.

2008 wurde Maria Happel von der Künstlerin Maja Vukoje für die Neue Porträtgalerie des Wiener Burgtheaters gemalt.

Foto: Luise Reichert

Direkt in die Herzkammer des Publikums

Mit dem Part der Édith Piaf ist die Winzertochter aus dem Spessart vor über 30 Jahren in den Theaterhimmel gestiegen. Ihre Biografie war von Anfang an schütter mit Nebenrollen besetzt. Und wenn es sich doch einmal ergab, machte sie daraus – unaufgeregt und bar jeder Verbissenheit – einen Auftritt, der direkt in die Herzkammer des Publikums führte. Es begann schon bei ihrem allerersten Auftritt als „siebentes Huhn“ in einem Weihnachtsstück von Jérôme Savary. „Ich ging einfach nach vorne und setzte mich an die Rampe. Auf die Frage der Regisseurin, warum ich nicht mitmache, habe ich gesagt: ‚Tue ich doch, ich bin hier der Hahn und beobachte alles.‘“ Man kann davon ausgehen, dass die anderen Hühner gackern konnten, was sie wollten. Die Nummer sieben räumte mit Sicherheit in Bausch und Bogen die Liebe des Publikums ab.

Ihren untrüglichen Sinn für die komischen Schwächen der Menschen hat sie sich im Frisier­salon ihrer Mutter antrainiert. Sie war das Nesthäkchen, die Supernachzüglerin, für das sich die anderen Geschwister nahezu genierten. „Meine Mutter war in einem Alter, in dem man damals keine Kinder mehr bekam. In unserem Dorf war das ein Riesenthema.“

Schon in der Frisierstube lernte sie damals, wie man die Rampe mühelos dominiert. „Ich spielte Stewardess, mit einer Haarbürste als Mikrofon, und erklärte den Damen, dass die Zigaretten im Flieger sofort ausgedämpft werden müssten", sagt Maria Happel. Wen wundert’s, dass alle sofort gehorchten. Auf was sich das Mizzerl am meisten freut, wenn der Karren wieder rollt? „Der Geruch in den Garderoben!“, ruft sie, „den vermisse ich am meisten. Da, wo die Geister der Wessely, der Adele Sandrock, der Düringer noch immer spürbar wehen, da fühle ich mich so beschützt.“

Foto: Luise Reichert