Bei Oper ist es so, wie wenn Sie sich ein Formel-1-Rennen ansehen. Warum mögen das die Leute? Es ist die Gefahr, die dabei fasziniert, wenn sie mit 300 km/h über die Piste rasen. Genau­so ist es mit den Tenören. Ein stimm­licher Einbruch oder eine falsche Note ist bei einem Bariton kaum zu hören. Bei einem Tenor hören Sie das sofort.

­Plácido Domingo, Opernstar & F1-Fan
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Ist Formel 1 Kultur? Ist es Kunst? Und warum berichtet die BÜHNE darüber? Ganz einfach: weil der Blick über den Tellerrand den Horizont freigibt und weil jedes Rennen eine Bühne ist, auf der mit Leidenschaft und Präzision das große Theater veranstaltet wird. Und weil es gilt, Genregrenzen zu durchbrechen, um das scheinbar Gegensätz­liche zu verstehen. 

Hier wie dort stehen an der Spitze nur die Besten. Und als uns die Möglichkeit gegeben wurde, mit zwei ehemaligen F1-Piloten über Kultur zu reden, haben wir zugegriffen. Der Anlass: Am 28. März startet mit dem Grand Prix von Bahrain die neue F1-Saison. Erstmals werden die Rennen abwechselnd von ServusTV und dem ORF übertragen. Für ServusTV gehen Christian Klien und Nico Hülken­berg ins Kommentatoren-Rennen. Ein Dreh in der Albertina war unsere Chance, die beiden sympathischen Athleten zum Gespräch zu treffen und sich von ihren Antworten überraschen und amüsieren zu lassen.

Was haben Oper und Formel 1 gemeinsam?

Nico Hülkenberg: Ich bin ehrlich gesagt nicht der größte Opernexperte, aber vom Gefühl her eint beide das perfekte Zusammenspiel unterschiedlichster Elemente. Für eine Oper müssen diverse Instrumente perfekt aufeinander abgestimmt sein, genauso wie bei einem Formel-1-­Wagen. Das kleinste Ungleichgewicht hat Auswirkungen auf das große Ganze.

Christian Klien: Dazu müsste ich zuerst einmal in die Oper gehen – ich denke, langsam muss ich bei meiner Partnerin wirklich klein beigeben. (Lacht.)

Was ist für Sie beim Autofahren die größte Kunst? 

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Christian Klien: Das Gefühl, dass Mensch und Maschine vereint sind. Nur wenn man das Fahrzeug bis ins kleinste Detail spürt, kann man ans absolute ­Limit gehen. 

Wäre ein F1-Rennen ein Musikstück – welches wäre es?

Christian Klien: Vor zehn Jahren hätte ich gesagt, eines von AC/DC, wegen der lauten V10-­Motoren. Heute wäre es eher ­etwas Sanfteres, aber immer noch mit sehr viel Ausdruck.

Nico Hülkenberg: Dieses Musikstück muss erst noch erfunden werden … 

2010 debütierte Nico Hülkenberg in der F1, 2015 gewann er das 24-Stunden-Rennen von Le Mans.

Foto: Andreas Jakwerth

Worin liegt die große Drama­turgie der Formel 1?

Christian Klien: Dass man meist bis zuletzt nicht weiß, wie es ausgeht. Es ist ein Sport am absoluten Limit, auch wenn man das im TV nicht immer so erkennen kann. Man sieht es aber an den angespannten Gesichtern der Teamchefs und Techniker im Hintergrund.

Nico Hülkenberg: In der F1 gibt es die unterschiedlichsten Dramen. Allen vor­an den Meisterschaftskampf, aber auch die Verteilung der 20 Cockpits ist Hochspannung und großes Drama. Ein wenig vergleichbar mit der Reise nach Jerusalem: Irgendwer bleibt am Ende stehen. (Grinst.)

Wie erklären Sie Menschen, die keine Ahnung von Formel 1 haben, Ihren Job? 

Christian Klien: Ich verdiene mein Geld im Sitzen und drehe mich dabei im Kreis. (Lacht.)

Nico Hülkenberg: Mein Job ist es, das schnellste Auto der Welt so schnell wie möglich um die Kurven zu fahren.

Es gibt Rennen, in denen es einfach nicht läuft, aber Aussteigen und Aufgeben stand nie zur Debatte."

Nico Hülkenberg

Wollten Sie je während eines ­Rennens aussteigen?

Christian Klien: Ja, diese Situationen gibt es, wenn man in der ersten Runde durch einen Defekt ganz nach hinten gereiht wird und keine Chance mehr auf ein vernünftiges Resultat hat. Da braucht es viel Motivation, um das Rennen zu Ende zu fahren. Bei den 24 Stunden von Le Mans hatte ich so eine Situation 2009: Nach einer Stunde lagen wir wegen eines Defekts sechs Runden zurück. Trotzdem haben wir 23 Stunden lang durchgebissen und sind am Ende noch Sechster geworden. Da ist sehr viel Energie und Motivation wichtig. Aber am Ende ist es Teamsport, und das gehört dazu. 

Nico Hülkenberg: Es gibt Rennen, in denen es einfach nicht läuft, aber Aussteigen und Aufgeben stand nie zur Debatte.

Was macht einen Fan oder Fahrer zum F1-Experten?

Christian Klien: Dass man sich für das Thema sehr interessiert und dafür lebt. Motorsport ist ein sehr komplexer Sport, je mehr man sich damit beschäftigt, desto interessanter wird er. Man wird zum regelrechten Nerd. (Grinst.)

Woran haben Sie gedacht, wenn Sie ein Rennen gefahren sind?

Christian Klien: Während des Rennens ist man gedankenfrei, was eigentlich sehr schön ist. Man lebt absolut im Moment. Oftmals gegen Ende des Rennens gehen einem Gedanken durch den Kopf, dass ja nichts am Auto passiert, ein technischen Gebrechen oder so. Man hört dann Geräusche, die es gar nicht gibt, man bildet sich schon fast ein, dass man einen technischen Defekt hört, das ist oft wirklich sehr komisch. 

Nico Hülkenberg: An das Rennen. Was ich morgen so tun werde, wie es meiner Mutter geht …

Was passiert in Ihrem Körper und Ihrem Herzen, wenn Sie
ein F 1-Auto fahren?

Nico Hülkenberg: Mein Körper arbeitet, mein Herz tanzt. 

Christian Klien: Es ist ein Gefühl von absoluter Freiheit, man fühlt sich lebendig und absolut im Moment, es gibt keine Ablenkung. Ich liebe es, das Helmvisier zu schließen und für mich alleine zu sein – Mensch und Maschine.

Hat die Position der ersten Geige in einem F1-Team einen Sinn?

Christian Klien: Die Formel 1 ist sehr schnelllebig, Entscheidungen müssen getroffen werden, manchmal sehr rasch. Daher bedarf es einer Person, die die ­Informationen filtert und dann im Sinne des Teams schnellstmöglich handelt.

Nico Hülkenberg: Irgendwie schon, denn für die Zuschauer und Fans spielen die Fahrer die erste Geige, sie stehen im Rampenlicht und repräsentieren die Teams und den Sport.

Dreh mit F1-Star und großer Kunst in der Wiener Albertina: Das ServusTV-Team bei der Arbeit, für die Übertragung der Formel-1-Rennen wurde mit den neuen Experten Nico Hülkenberg und Christian Klien gedreht.

Foto: Neumayr/Christian Leopold

Haben Sie je während eines ­Rennens ein Lied gesungen?
Wenn ja, welches?

Nico Hülkenberg: Laaa, leeee, luuuuu, nur der Mann im Mond schaut zu …

Christian Klien: Dazu bleibt bestimmt keine Zeit während eines Rennens, man braucht alle Sinne und Konzentration, um das Auto am Limit zu bewegen. 

Gibt es eine Lebenslage, in der Sie nicht Auto fahren können?

Nico Hülkenberg: Eher selten, aber nach dem einen oder anderen erfolgreichen Rennen hätte es sicherlich eine saftige Strafe gegeben, wenn ich mich doch noch hinters Steuer gesetzt hätte. (Grinst.)

Was ist das Wichtigste, was man vom Rennfahren fürs Leben lernt?

Nico Hülkenberg: Als Rennfahrer muss man innerhalb von Sekunden Entscheidungen treffen. Ich bin überzeugt, dass ich deshalb auch neben der Rennstrecke nicht viel Zeit für gute Entscheidungen brauche.

Christian Klien: Es ist wichtig, seine Berufung im Leben zu finden. Wenn man diese gefunden hat, dann muss man keinen Tag mehr arbeiten. Denn es macht Spaß, und Motivation und Zielstrebigkeit kommen von selbst. 

Zu den Personen:

Christian Klien: Der gebürtige Vorarlberger war von 2004 bis 2010 in der Formel 1 und wechselte danach in den Langstreckensport. Er wird ab dem 26. März für ServusTV als Formel-1-Experte bei den TV-Übertragungen live aus der Boxenstraße berichten.

Nico Hülkenberg: 2009 wurde er Meister in der GP 2-Serie. 2010 debütierte er in der F1, gewann 2015 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Hülkenberg ist bei ServusTV Co-Kommentator der Formel-1-Rennen und ab 26. März das erste Mal im Einsatz. 

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Formel-1-Saison 2021: Alle F1-Rennen sind abwechselnd auf ServusTV und im ORF zu sehen.