Wie ein Bauchmensch wirkt er nicht. Eher schon wie einer, der sein Agieren wohl überlegt und dosiert. Der besonders genau reſlektiert, warum etwas einmal funktioniert und einmal nicht. Roman Schmelzer, der im Theater in der Josefstadt und in den Kammerspielen in dieser Saison in „Die Liebe Geld“, „Die Stadt der Blinden“ und „Zwischenspiel“ besetzt ist, wirkt im Interview wie ein Grübler. Es wird ein ausführliches Gespräch, denn Schmelzer geht gerne in Details, wenn er seine Art zu spielen beschreibt.

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Und weil die Rollen, die er in den vergangenen Saisonen verkörpert hat, so unterschiedlich sind – und es nicht den einen Schmelzer’schen Weg gibt. Ob als dem Wahnsinn naher Bergbauer („Glaube und Heimat“), als wandelnder Verstorbener („Die Strudlhofstiege“), als Seitenspringer in Nöten („Wie man Hasen jagt“), als Zuhälter („Niemand“), als Alkoholiker und Stalker („Totes Gebirge“), als fader Ehemann („Madame Bovary“) oder als auf die Angebetete verzichtender Nebenbuhler („Zwischenspiel“) – die Bandbreite ist groß.

Sollbruchstelle der Figuren

Zusammenfassen könnte man es aber unter folgendem Motto: „Das Brüchige ist meine Kernkompetenz“, so Schmelzer. Er suche nach der Sollbruchstelle der Figuren. Dabei gilt: „Was mir fremd ist, ist Gefallsucht. Man kann sich hinstellen und sagen: ‚Hauptsache, ich stehe im Licht und kriege den meisten Applaus.‘“ Er aber sei vielmehr „auf der Suche nach der Plastizität der Figuren. Es geht mir um das Erzählen der Geschichte, der Figur, des Themas. Wenn es dafür notwendig ist, zu missfallen, habe ich doch mein Ziel eher erreicht, wenn die Leute sagen: ‚Das war arg‘, als wenn sie sagen: ‚So toll.‘“

Was macht eine Figur interessant?

Eitelkeit ist also ebenso wenig seines wie Schenkelklopfer. In Daniel Glattauers „Die Liebe Geld“ spielt er mit Gefühl für Zwischentöne einen Mann, der kein Geld mehr aus dem Bankomaten bekommt, weil es „auf Geschäftsreise ist“, wie ihm von Seiten der Bank versichert wird – keine reine Komödienfigur. „‚Die Liebe Geld‘ oszilliert ja zwischen Komödie und Satire – meine Figur ist eher ein gebrochener Charakter“, beschreibt Schmelzer.

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Und hier kommt erneut ein Satz, der für die Schmelzer’sche Reſlexion typisch erscheint: „Wenn man sich in der reinen Überhöhung gefällt, ist es Gaukelei. Aber wenn man sie mit von innen kommenden Konflikten füllt, kann Satire richtig Spaß machen.“ Er jedenfalls versuche, „nicht auch noch lustig dreinzuschauen oder einen funky Move zu machen, sondern mich auf die Not der Figur zu konzentrieren“.

So mannigfaltig das Repertoire von ­Roman Schmelzer auch ist, so hat er doch eine Vorgehensweise, die immer zutrifft: „Mein Credo ist geworden: Wenn du die Interessen deiner Figur vertrittst und denkst, was sie meint, dann funktioniert es. Dann kann man anfangen, zu formen und satirische Sachen draufzupacken.“ Egal, ob ­Komödie oder Tragödie: „Die Frage lautet immer: Was macht eine Figur interessant? Was ist ihre Fallhöhe, ihre Reibungsfläche? Ich will keine Abziehbilder.“ Am liebsten mag er „Situationen, in denen es um die Widersprüchlichkeit der Figur geht“.

Gefangen in Denksystemen

Aktuell ist Schmelzer in den Proben zu „Die Stadt der Blinden“ nach José Saramagos Roman. Ein „Kollektivding“, wie er es beschreibt, bei dem einzelne Figuren nicht so genau charakterisiert sind wie in anderen Stücken. Prompt erfand er für sich etwas dazu, was bei Saramago nicht vorkommt, ihm aber in der Darstellung hilft. Schmelzer, der das erste Opfer der mysteriösen Blindheit wird. Und Martina Ebm, die seine Frau verkörpert, haben „den Schmäh kreiert, dass wir ein bigottes Pärchen sind. So machen wir uns dort, wo unsere Figuren wenig Futter haben, etwas dazu, was wir zwischen den Zeilen spielen.“

Er verstehe das Stück über eine apokalyptische Situation, in der die Menschheit von einer heimtückischen Krankheit befallen wird und Kranke in Quarantäne gesteckt werden, „auch als Folie“. „­Natürlich dreht es sich um eine Epidemie und passt derzeit wie der Deckel auf den Topf in den Spielplan. Aber ich sehe die Seuche auch als Analogie auf das Gefangensein der Menschen in Denksystemen“, beschreibt Roman Schmelzer. „Für mich heißt blind zu sein hier, dass wir uns zu wenig Mühe geben, über den eigenen Tellerrand zu schauen.“

„Schauspiel ist im Idealfall wie Surfen"

Und gerade dieses Schauen über den Tellerrand, das macht Schmelzer Spaß. Über den Tellerrand des Berufs – einerseits, da seine Lebensgefährtin in einem anderen Feld (Consulting, früher auch Flüchtlingshilfe) tätig ist: „Das erdet und hilft, Dinge sachlicher zu betrachten und weniger zu emotionalisieren.“ Andererseits, indem er sich intensiv mit Philosophie beschäftigt. Und indem er unterrichtet: „Ich lerne auch viel von den Studenten. Die Arbeit mit ihnen lässt mich mein Tun noch mehr hinterfragen und noch präziser werden … etwa die Überlegungen, warum etwas möglicherweise vorher nicht gelang und jetzt plötzlich doch.“

In all der Reflexion über den eigenen Beruf hat er jedenfalls ein sportliches Bild gefunden für das, was er gerne tut: Für ihn ist „Schauspiel im Idealfall wie Surfen. Ich bin kein echter Surfer, aber wenn man sich mit seiner Figur auf die Situation einer Szene draufsetzen und mit ihr durch­gleiten kann, dann macht es echt Spaß.“

Zur Person: Roman Schmelzer

Der Bayer war u. a. in Rostock, St. Gallen, Klagenfurt und am Volkstheater Wien engagiert, bevor er 2015 an die Josefstadt kam. Hier hat der 44-Jährige rund 20 Rollen verkörpert. Zudem unterrichtet er an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien.

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