Der erste Mackie Messer von Claudius von Stolz­mann und die Rückkehr von Maria Bill ans Theater – für Torsten Fischers ­Inszenierung der „Dreigroschenoper“ schlüpfen ein Ensemble­mitglied und ein lange theater­abstinenter Gast in neue Rollen. Der ­BÜHNE erzählt Stolzmann von einer Traumpartie, die für ihn so bedeutend ist wie Hamlet und ­Mephisto, und Bill von einer Figur, die sie nun ganz anders sieht als bisher.

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Wie wird Ihr erster Mackie Messer – und inwiefern anders als andere?

Claudius von Stolzmann: Selbstverständlich tiefgründiger, besser und toller als andere! Wie ­genau – um das zu erfahren, müssen die Leute Geld bezahlen. (Lacht.) Nein, Scherz beiseite. In Zusammenarbeit mit dem Regisseur Torsten ­Fischer definiere ich ihn vor allem durch den großen Gegensatz zu Peachum. Er ist genauso gefährlich, genauso kriminell, aber er nutzt andere Taktiken. Möglicherweise Charme, Heimlichkeit, aber auch Empathie und Emotion.

Eine harte Geschäftsfrau

Frau Bill, Sie haben bereits in zwei Produktionen Erfahrung mit der „Dreigroschenoper“, allerdings spielten Sie bisher die Jenny. Wie gelang Ihnen der Umstieg auf Mrs. Peachum?

Maria Bill: Es ist witzig, vor zehn Jahren spielte Susa Meyer am Volkstheater die Peachum und ich die Jenny – und jetzt ist es in der Josefstadt-Produktion genau umgekehrt. Während der aktuellen Proben denke ich aber nicht an „meine“ Jenny. Mit der Peachum hatte ich mich damals nicht wirklich auseinandergesetzt. Es ist also kein Umstieg, sondern eine neue Rolle, die sich durch die scharfen Überlegungen des Regisseurs Torsten Fischer als spannende Herausforderung darstellt. Die Peachum ist eine harte Geschäftsfrau, eine berechnende Mutter und eine furchtlose Intrigantin. Für ihre verschütteten Gefühle sucht sie im Alkohol tröstenden Ersatz. Sie ist viel härter und kompromissloser, als ich sie bislang sah. 

Ziehen Sie die Figur nun der Jenny, die Sie schon am Volkstheater und in Hamburg spielten, vor?

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Bill: Ich habe die Jenny immer leidenschaftlich gern gespielt. Jetzt ist es die Peachum mit all ihren Facetten, ihren Abgründen, die mich beschäftigt und ungemein reizt. Sie wird zur Bereicherung meines Schauspieler-Lebens werden.

Stolzmann und Bill kennen einander vom Volkstheater, spielten aber bisher noch nie im gleichen Stück.

Foto: Philipp Horak

Drehen wir uns eigentlich im Kreis?

Was mögen Sie an der „Dreigroschenoper“ denn besonders?

Bill: Es geht um die Spannung zwischen zwei „Geschäftsmodellen“. Auf der einen Seite der „Bettlerfreund“ Peachum, der wie ein Mafiaboss agiert, die Ärmsten der Armen in seine Firma zwingt und ausbeutet, und auf der anderen Seite der gefürchtete Gangsterboss, Mörder, Räuber, Brandstifter und Vergewaltiger Mackie Messer, Londons gefürchtetster Krimineller, dem kein einziges Verbrechen nachgesagt werden kann, weil er freundschaftliche Beziehungen zum obersten Polizeichef Londons pflegt und diesen „schmiert“. Es ist, wie es immer ist: Es gibt die, die alles zu verlieren haben – und die, die Macht zu verlieren haben. Ein auf­reibender, aktueller und ungleicher „Kampf“. Brecht war es wichtig, diese Missstände aufzuzeigen.

Stolzmann: Es ist immer wieder erstaunlich, wie leicht das, was Brecht damals so sehr auf die Geschehnisse zugeschnitten hat, auf Heutiges übertragbar ist. Möglicherweise stellt unsere Insze­nierung die Frage: Drehen wir uns eigentlich im Kreis?

Bill: Gerade jetzt, wegen der Pandemie, spitzt sich die Situation wieder zu: Die Armen werden noch ärmer, und die Reichen werden reicher. Als Brecht das Stück zur Uraufführung brachte, suchte das Publikum Unterhaltung, Brecht wollte vielmehr wachrütteln. Doch die Leute liefen damals Mackie vergnügt ins Messer.

Es ist, wie es immer ist Es gibt die, die alles zu verlieren haben – und die, die Macht zu verlieren haben.

Maria Bill, Schauspielerin

Mackie als echten Menschen sehen

Warum wird man Ihrem Mackie ins Messer laufen?

Stolzmann: Nicht speziell meinem, sondern generell, weil er verführerisch ist, weil er als romantischer Räuber für etwas steht. Er ist charmant, eloquent, er will etwas, er will wohin. Ich hoffe, dass es mir gelingt, die Zuschauer einzufangen. Das kann ich aber nicht allein machen, das braucht den Kontrast von Herbert Föttingers Peachum.

Inwiefern ist Torsten Fischers „Dreigroschenoper“ anders als bisherige Inszenierungen?

Stolzmann: Durch einen abgründigen Ansatz. Er versucht, das Schlimmstmögliche in jeder Aussage herauszuarbeiten. Wir haben beispielsweise intensiv über die Gefangennahme von Mackie ­Messer gesprochen – wie würde man heute wohl mit dem schlimmsten Verbrecher der Stadt umgehen, wie würde man ihn foltern? Interessant finde ich auch, dass unser Mackie nicht davon ­überzeugt ist,  dass ihm eh nichts passieren kann. Hier geht es nicht nur darum, ein großes Ego zu spielen, sondern darum, diese skrupellose Figur auch einmal als echten Menschen zu sehen.

Maria Bill hat etwas zu ­lachen mit ­Claudius von Stolzmann, der den ­Mackie Messer in vielen Facetten präsentieren will.

Foto: Philipp Horak

Singend aufgewachsen

Was haben Sie gedacht, als Herbert Föttinger Ihnen die Rolle angetragen hat?

Stolzmann: Yes! Finally! Natürlich gehört sie zu den Rollen, über die sich jeder männliche Dar­steller freut – ich finde, sie ist diesbezüglich mit Hamlet und Mephisto gleichzusetzen. Außerdem habe ich mich über das große Vertrauen der Direktion gefreut, dass ich das schaukeln kann, denn ich bin ja kein ausgebildeter Sänger. Nicht so wie du und Susa Meyer …

Bill: Auch ich bin keine ausgebildete Sängerin. Ich bin vielmehr singend aufgewachsen, wir haben als Kinder daheim vierstimmig gesungen – und das wurde zur Leidenschaft. Ich singe wie eine Italienerin – aus dem Bauch heraus. Das Singen ist das Beste, was mir passieren konnte.

Stolzmann: Ich singe auch gerne, war im Schulchor – mehr aber auch nicht. Und ich hatte Gesangsstunden auf der Schauspielschule. Jetzt habe ich seit Dezember Unterricht. Ich habe mich bisher einfach bloß selten getraut zu singen, weil ich hauptsächlich über positive Bestätigung funktioniere und oft sah, wie viel besser das andere machen. Doch auf einmal ist da jemand, der sagt, du kannst das, wir vertrauen dir, und man merkt: Es macht Spaß, solo zu singen – und Selbstvertrauen, Technik und Können wachsen plötzlich gleichermaßen.

Lust aufs „Ausprobieren"

Wie kam es zum Engagement als Mrs. Peachum?

Bill: Herbert Föttinger rief mich an und fragte mich, ob ich nicht wieder Theater spielen wolle. Vor über sieben Jahren habe ich die Schauspielerei an den Nagel gehängt, und es fehlte mir nichts, da ich durch meine Konzerte ausgefüllt war. Aber ich war positiv überrascht, dass an mich gedacht wurde, und merkte rasch, dass diese Anfrage etwas mit mir machte, etwas Anregendes, das mich mit Leben erfüllte. In Zeiten von Corona, in denen ­Konzerte verschoben werden, fand ich den Gedanken wunderbar, in ein Ensemble aufgenommen zu werden – und mit Torsten Fischer und seinem Team zu arbeiten. Ich höre diesem Regisseur gern zu, sein Esprit und seine Überlegungen sind inspirierend und machen Lust aufs „Ausprobieren“.

Sie spielten 1981 und 1983 Julie in „Liliom“ und Marianne in den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ – wie fühlt es sich an, wieder an die Josefstadt zurückzukommen?

Bill: Das ist so lange her, es fühlt sich an wie aus einem anderen Leben, aber ich habe schöne, starke Erinnerungen daran. Nun schließt sich somit ein Kreis. Ich bin sehr gespannt, wie es sein wird, wieder auf dieser Bühne zu stehen, ob die Garderoben noch so sind, wie sie waren … Ich liebe den magischen Moment, wenn das Publikum ins Theater strömt, wenn sich der Saal langsam mit Zuschauern, mit Leben füllt und es zu wuseln beginnt, ein herrliches Geräusch.

Zu den Personen in „Die Dreigroschenoper":

Claudius von Stolzmann: Früher am Volkstheater engagiert, ist er seit drei Jahren an der Josefstadt und spielte hier zuletzt „Shakespeare in Love“, „Professor Bernhardi“, „In der Löwengrube“ und „Die Reise der Verlorenen“. Auch bei den Salzburger Festspielen war er mehrfach zu sehen.

Maria Bill: Man kennt sie aus ­zahlreichen Rollen am ­Volkstheater Wien ebenso wie durch ihre Konzertabende mit Liedern von Édith Piaf und Jacques Brel. In der „Dreigroschenoper“ spielte sie bisher zweimal die Jenny – am Volkstheater und am St. Pauli Theater in Hamburg.

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Im Rahmen von „Wir spielen für Österreich" auf ORF III zeigen die Wiener Kammerspiele auch „Die Dreigroschenoper". Mehr Infos folgen.

Alle Infos zum Theater in der Josefstadt und den Wiener Kammerspielen finden Sie hier