Ein melancholischer Grübler ist Ulrich Reinthaller. Einer, der auf den ersten Blick still wirkt und sich dann umso mehr über die heimische Flüchtlingspolitik in Rage redet – und die Rolle des Theaters betont, wenn es darum geht, Missstände aufzuzeigen. Einer, der seinem Leben oft radikale Wendungen gab. Einst weg vom Burgtheater hin zur Serie „Hallo, Onkel Doc!“, dann auf der Höhe des Erfolgs weg vom Fernsehen, später wieder fix an ein Haus. „Es waren tatsächlich extreme Wendungen, die mein Leben bestimmt haben, die aber rückwirkend betrachtet mehr Sinn ergeben als währenddessen“, sagt Reinthaller.

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Philosophische Sicht

Seit 2018 ist er Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt, wo er einst begann – und es ist kein Zufall, dass er sich just an dieses Haus gebunden hat. Es war „diese positive Aggression des Herbert Föttinger, diese Vitalität“, die ihn anzog. „Ich selbst nähere mich aus einem melancholischen Denken den Fragen der Welt. Er ist ein Energiebringer, auf den ich gut reagieren kann.“ Oftmals in seinem Leben hat sich Ulrich Reinthaller neu erfunden – vor wenigen Jahren abermals mit der ­Ausbildung zum Dialogprozessbegleiter und der Gründung des „Dialogikum Phönixberg“, wo er zum Austausch mit hochkarätigen Denkern Anstoß geben wollte. 

Auch wenn er die Leitung des Seminar­betriebs mittlerweile aufgegeben hat, die philosophische Sicht auf die Welt hat er in seiner Tätigkeit beibehalten. Reine Komödie um der Komödie willen ist nichts für ihn. Nicht von ungefähr war er ­zuletzt im Theater in der Josefstadt in „Jacobowsky und der Oberst“ und „Die Strudlhofstiege“ zu sehen und ist nun in „Der Bockerer“ und „Die Stadt der Blinden“ besetzt. „Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um im komö­diantischen Umfeld zu arbeiten. Ich muss auf den Zahn fühlen, der ­offensichtlich wehtut. Wenn ich an ausschließliche Unterhaltung denke, verliere ich mein Feuer.“

Nazi und Opfer

In „Der Bockerer“ ist er sowohl als der jüdische Freund der Titelfigur, Dr. Rosenblatt, zu sehen als auch in der Rolle des Dr. Lamm von der ­Gestapo. „Dass ich das größte Opfer und den schlimmsten Täter im Stück spiele, ist natürlich reizvoll. Der eine leidet unter dem, was der andere ­verbricht. Das macht die Geschichte noch ­dringlicher“, sagt Reinthaller. Parallel probt er die José-Saramago-Adaption „Die Stadt der Blinden“, in der er den Augenarzt spielt, der rasch selbst von der mysteriösen Krankheit heimgesucht wird. „Er gerät mit seiner medizinischen Betrachtung an die Grenzen. Wenn Gleichschaltung herrscht, werden Talente Einzelner nicht mehr gebraucht“, beschreibt Reinthaller.

Verdrängung der Krisen

Er hält es deshalb für wichtig, dieses Stück über eine Epidemie-Situation gerade jetzt zu bringen, „weil wir zeigen, wie schnell es gehen kann, dass wir überrollt werden – ähnlich, wie wenn die Grundfreiheiten in einer halben Pressekonferenz beiseitegewischt werden“. Ihn beschäftigt aktuell auch, „wie rasch nur mehr von Corona die Rede war und man aufhörte, über Klima- oder Flüchtlingskrise zu sprechen. Für mich ist es unerträglich, wie unmenschlich hierzulande mit dem Thema Moria umgegangen wird“, sagt er – und spricht im nächsten Atemzug über die Chance des Theaters, auf Unzulänglichkeiten hinzuweisen. Wieder geht es ihm um „den Diskurs: Was wir spielen, sollte einen gesellschaftlichen Dialog auslösen. Wir sollten das Privileg des ­Ausdrückens mit der Narrenkappe nutzen – gerade jetzt.“

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Zur Person: Ulrich Reinthaller

Lebt in Wien und Rabenstein an der Pielach. Einst an Josefstadt, Burgtheater und durch die Fernsehserie „Hallo, Onkel Doc!“ bekannt geworden, ist er seit 2018 Ensemblemitglied im Theater in der Josefstadt. Er spielte hier zuletzt in „Die Reise der Verlorenen“, „Der einsame Weg“, „Jacobowsky und der Oberst“ sowie „Die Strudlhofstiege“ und ist demnächst in „Der ­Bockerer“ und „Die Stadt der ­Blinden“ zu sehen.

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