Was will Theater heute? Warum wird oft dasselbe gespielt? Die BÜHNE hat ein paar Ideen gesammelt, welche Stücke mehr Aufmerksamkeit verdient haben. Diesmal liegt der Fokus auf starken Frauenfiguren in der Theaterliteratur. Denn im Fundus schlummert unentdeckte zeitlose Literatur. Wir müssen nur schauen: Was gehört auf die Bühne?

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Heldinnen vor den Vorhang

Der deutsche Schriftsteller und Journalist Simon Strauß geht das Ganze von der Maschekseite an. Er fragt in seinem Buch „Spielplanänderung! 30 Stücke, die das Theater heute braucht“ welche Stücke ihnen auf den Spielplänen fehlen. Wir nehmen diese Idee auf. Vorhang auf für diese Heldinnen:

„Herodes und Mariamne" von Friedrich Hebbel (1849)

„Und wenn der Mensch in mir so tief durch dich gekränkt ist, sprich, was soll das Weib empfinden, wie steh ich jetzt zu dir und du zu mir?" heißt es im Text. Seit mindestens 60 Jahren hat das allerdings keine Schauspielerin als Mariamne mehr gesagt. 1844 zog Friedrich Hebbel aus Schleswig-Holstein nach Wien. Von ihm stammt auch „Maria Magdalena" das 1946 im Burgtheater großen Erfolg feierte. Drei Jahre später wurde sein Fünfakter „Herodes und Mariamne" – ebenfalls in der Burg aufgeführt und ist seither vergessen.

Hebbel erzählt die grausame Geschichte, deren Dramatik sich in den Charakteren entfaltet, nicht in den äußeren Geschehnissen. Mariamne ist die emanzipierte, bedingungslos Liebende, der das Publikum seine Sympathie schenken wird.

„Esther“ von Franz Grillparzer (1868)

Mann gegen Frau, Religion gegen Staat: Dieses imposante Stück mit biblischer Vorlage ist unvollendet, wobei die Fragmente schon relativ gut ausgearbeitet sind. Franz Grillparzer hat sich innerhalb von zwanzig Jahren immer wieder darangesetzt und knapp 1000 Verse verfasst. Das unfertige Werk wurde auf Drängen von Theaterleuten sogar am Burgtheater aufgeführt.

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Es startet mit einem Krieg der Geschlechter: Der König feiert man seiner männlichen Entourage. Er lässt die Königin rufen, um mit ihrer Schönheit zu prahlen. Sie hingegen verweigert das. Das Paar trennt sich, ebenso die Hofgesellschaft. Mit der neuen Frau, der titelgebenden Esther kommt ein Religionskonflikt dazu. Und die Partei der verstoßenen Königin plant einen Anschlag auf sie. Esther wird von ihrem jüdischen Ziehvater gewarnt, doch leugnet ihn zu kennen, um ihre Religion zu verschweigen. Wenig später bricht Grillparzers Dramenfragment ab.

Er wollte zeigen, dass der politische Zwang, den eigenen Glauben und die eigene Herkunft verheimlichen zu müssen, immer einen „Keim des Verderbens" in sich birgt, schreibt der Literaturtheoretiker Carlos Spoerhase: „Wer sich selbst verleugnet, kühlt von innen aus."

„Der Stärkere“ von Dagny Juel (1896)

Es gibt unter dem Titel „Der Stärkere" einen deutschen Spielfilm, der ein Ehedrama in einem Schloss behandelt. Es gibt auch ein Drama für zwei Schauspielerinnen von August Strindberg, das im Original „Den Starkere" heißt und es gibt „Der Stärkere" von Dagny Juel. Die schöne, kapriziöse Norwegerin wurde von vielen Männern verehrt, darunter Edvard Munch oder der schon erwähnte Strindberg. Sie gilt als schillernde Figur des Fin de Siècle und der Berliner Boheme.

Sie hat ein bisschen Prosa, Lyrik sowie vier kurze Theaterstücke geschrieben. Morbide Liebesgeschichten – hochemotional, aber nie glücklich und bisweilen tödlich. Gespenstische Dreiecksverhältnisse, albtraumhafte Szenen: Gelegentlich geht es zu wie auf einer okkulten Séance. Schließlich kam damals gerade „Dracula“ auf den Markt, Sigmund Freud schrieb seine „Studien über Hysterie“. Einiges verbindet Juel auch mit Edgar Allan Poe – in „Der Stärkere“ muss die Protagonistin Siri beim Anblick eines Bildes ständig an „Das Haus Usher“ denken.

Der Zweiakter zeigt keinen frauenbewegten, emanzipatorischen Blick auf die existenziellen Fragen, sondern richtet sich geradezu radikal gegen bürgerliche Konventionen und moralische Zugeständnisse. Juels Heldinnen sind selbstbewusste, unbeirrbare Liebende.

„Die heilige Johanna“ von George Bernhard Shaw (1923)

Die Stücke von George Bernhard Shaw haben befreiendes Potenzial. Sie lassen keine Autorität gelten. „Die heilige Johanna“ bietet gleich zwei aktuelle Lesearten an: Frau verändert die Welthistorie, wird von Männern abgeurteilt. Johannes Wut ist aufrührerisch und motiviert.

Gleichzeitig präsentiert sich das Stück auch als eine Geschichte religiösen Fanatismus. Johanna steht dann auch für den Wahn des Nationalismus und für eine Verblendung, die bis in unsere Zeit fortwirkt, schreibt Daniel Kehlmann. Er meint: „Man sollte es nicht zum Lesedrama verkommen lassen. Es gehört aufgeführt.“

„Medea" von Hans Henny Jahnn (1926)

Medea – eine der faszinierendsten Frauengestalten der Theatergeschichte. Die Königstochter wird von ihrem Mann, für den sie ihre eigene Familie zurückgelassen und verraten hatte, verstoßen. Sie rächt sich grausam, wobei sie ihre eigenen Kinder tötet.

An dieser Figur der griechischen Mythologie haben sich viele abgearbeitet. Für die Regisseurin Nino Haratschwili sticht die Bearbeitung von Henny Jahnn heraus. Seine Fassung dieses archaischen Sagenkomplexes sei monströs, urtragisch, düster und pathetisch. Und um eine gute Prise Pathos abzufangen, dafür hätte die deutsche Sprache ohnehin die nötige Tiefe und Schärfe.

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Buchtipp: Simon Strauß: Spielplanänderung! 30 Stücke, die das Theater heute braucht
262 Seiten
Tropen Verlag 2020