„Ich bitte Tamino, die drei Damen, Statisten Damen und Herren, Puppenspieler und Bewegungschor auf die Bühne, Orchester: bitte Platz nehmen. Achtung: Eisen geht auf, Licht: Richten für 1, Hazer: bitte los.“ Während das Publikum im Zuschauerraum Platz nimmt, hört man auf der Bühne und in den Garderoben Franziska Blauensteiners angenehme Stimme. Sie ruft Darsteller und Musiker auf ihre Plätze. Bühnentechniker bekommen erste Instruktionen für Lichtstimmungen und das Starten des Bühnenrauchs. Und erst wenn alle bereit sind, kann es heißen: Vorhang auf. Blauensteiner ist Inspizientin.

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Es ist ein Beruf, von dem jeder schon einmal gehört hat, aber bei dem viele nicht genau wissen, wie umfangreich die Aufgaben sind. Bei ihr laufen alle organisatorischen Fäden einer Vorstellung zusammen. Ob Sänger, Lichttechniker oder Schlosser, der Drehbühne und Versenkungen steuert, Kollegen am Schnürboden oder Statisten - alle hören auf Blauensteiners Kommando. Der Oberbilleteur meldet ihr, falls die Vorstellung wegen Verzögerungen beim Einlass etwas später beginnen soll. Der Orchesterwart gibt Rückmeldung, ob alle Musiker auf ihren Plätzen sind. Erst, wenn die Inspizientin Order dazu gibt, wird es im Zuschauerraum finster und die Ouvertüre beginnt.

Inspiziententeam am Pult und mobil

Das Inspiziententeam der Volksoper, das aus vier Leuten besteht und von Michael Weber geleitet wird, ist Abend für Abend zu zweit oder manchmal sogar zu dritt im Einsatz. Einer arbeitet am Inspizientenpult, der andere ist mobil: „’Ambulant’ sagen wir zu jenem, der mit Klavierauszug und Taschenlampe hinter den Kulissen herumläuft“, so Blauensteiner. „Derjenige sorgt einerseits dafür, dass alle Darsteller rechtzeitig auf der Bühne sind, andererseits läutet er schon mal eine Glocke oder klirrt mit dem Scherbenkübel.“ Wenn beispielsweise die Darstellerin der Lilli Vanessi in „Kiss me Kate“ wütend mit einer Vase in der Hand von der Bühne abläuft, ist es Blauensteiner oder ein Kollege/eine Kollegin, die das laute Zerbrechen fingiert.

Wir sind die ersten Ansprechpartner der Künstler."

Inspizientin Franziska Blauensteiner über die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied bei Vorstellungen machen.

So nah am Geschehen kommt es natürlich auch vor, dass man spontan helfen muss. Eine Hose ist aufgerissen, eine Requisite wurde vergessen: „Dann sind wir es, die schnell in die Garderobe laufen oder jemanden mit Nadel und Faden holen. Wir sind die ersten Ansprechpartner der Künstler - aber nicht nur bei Problemen, die gottseidank selten auftreten, sondern auch um sie zu unterstützen, zum Beispiel halte ich auch einmal Lisa Habermanns Wasserflasche bereit, damit sie zwischen ihren unzähligen Auftritten in `Sweet Charity` schnell einen Schluck trinken kann.“ 

Wenn doch einmal etwas fehlt, müsse man „rasch abschätzen können, was sich noch ausgeht und was besonders wichtig ist. Wenn ein Darsteller seine Kette vergessen hat, muss ich überlegen: Schaffe ich den nächsten Auftritt auch noch, wenn ich sie hole, oder tritt er halt mal ohne Kette auf?“

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160 Lichtstimmungen in der Zauberflöte

Denn nicht nur die Darsteller, auch die Bühnentechniker warten auf die Ansagen wie „Licht: Richten für 104“ und dann zum richtigen Zeitpunkt auf das Kommando: „Ab“. Drehbühne, Versenkung und Schnürboden werden von der Inspizienz über Lichtzeichen informiert aktiv zu werden. Nicht selten gibt es in aufwendigen Vorstellungen mehr als 150 Lichtstimmungen, auch über Fußpedale am Inspizientenpult können diese gesteuert werden.

In der „Zauberflöte“ sind beispielsweise 160 Lichtstimmungen anzusagen, 20 Toneffekte, 20 Schnürbodenfahrten, 15 Bühnenzeichen und 22 Bühnendrehungen zu signalisieren sowie mehr als 30 Einrufe für Auftritte und sonstige Kommandos zu geben.

Das Latein der Inspizientin

Dabei helfen den Inspizienten ihre Notizen, die sie sich an der betreffenden Stelle im Klavierauszug gemacht haben. „Das ist Inspizientenlatein, das kann nicht jeder lesen“, sagt Blauensteiner schmunzelnd. Um den vom Regisseur gewünschten Ablauf genauestens zu kennen, sind die Inspizienten schon bei den technischen Proben dabei – sie werden derzeit natürlich genauso wie alle anderen mehrfach die Woche auf Covid19 getestet - und machen sich die nötigen Notizen im Klavierauszug. „Dabei ist der Radiergummi das wichtigste Utensil, da natürlich oft Dinge ausprobiert und wieder geändert werden.“ Mit dem Klavierauszug in der Hand sind sie dann auch während der Vorstellung am Pult oder eben „ambulant“ unterwegs.

Alle hören auf Franziska Blauensteiners Kommando: Bei ihr laufen sämtliche organisatorische Fäden einer Vorstellung in der Volksoper zusammen.

Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Timing bis auf die Sekunde

Manches hängt auch von der jeweiligen Besetzung ab, so muss sich die Drehbühne während Paminas Arie etwa 216 Sekunden drehen, wenn Rebecca Nelsen an diesem „Zauberflöte“-Abend besetzt ist, singt Mara Mastalir die Partie, 196 Sekunden. „Da gibt es unterschiedliche Programmierungen.  Hier hilft es, dass man über den Computer schon einiges einspeichern kann, natürlich kann man so aber auch weniger eingreifen. Früher konnte man besser dosieren. Aber wenn Gefahr im Verzug ist, kann man natürlich immer noch händisch vorgehen.“„Für diesen Beruf gibt es keine Schule."

Musikalität und rasches Reaktionsvermögen

Wie wird man überhaupt Inspizient und Inspizientin? „Für diesen Beruf gibt es keine Schule. Wir rekrutieren alle aus der Statisterie“, sagt Blauensteiner. Auch sie selbst hat lange als Statistin gearbeitet. „Daher kannte ich den Hausgebrauch und niemand musste mir erklären, wo die Requisite oder der Sologang ist“.

Wenn doch einmal ein Problem auftritt und du hysterisch wirst, ist alles vorbei."

Inspizientin Franziska Blauensteiner

Neben der Grundvoraussetzung Musikalität und der Fähigkeit Klavierauszüge lesen zu können, geht es vor allem um rasches Reaktionsvermögen und die Fähigkeit zu improvisieren. Darüber hinaus muss man stets gelassen bleiben: „Wenn doch einmal ein Problem auftritt und du hysterisch wirst, ist alles vorbei. Man muss Ruhe bewahren und diese auch vermitteln. Es ist noch sehr selten passiert, aber einmal hing bei „Gypsy" die Drehbühne für ein paar Minuten, da war es wichtig, dafür zu sorgen, dass alle auf ihren Plätzen bleiben, damit die Vorstellung so rasch wie möglich weitergehen kann. Auch wenn es mal haarig wird, muss man stets gelassen bleiben.“

Reibungsloser Ablauf

Nun ist Blauensteiner schon mehr als 30 Jahre dabei – und liebt dabei die Abwechslung: „Zwar habe ich meine fixen Pultstücke wie „Cabaret" und „Vivaldi" sowie demnächst „Teufel auf Erden", aber ich bin auch gerne ambulant unterwegs, weil ich da mehr mit den Darstellern zu tun habe.“

Worauf sie stolz ist? „Darauf, dass Abend für Abend die Vorstellung reibungslos abläuft und dies als selbstverständlich angenommen wird, obwohl es ganz und gar nicht selbstverständlich ist.“ Wenn das den Beruf des Inspizienten nicht auf den Punkt bringt.

Der Spielplan der Wiener Volksoper ab 7. Dezember

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