Diese rote Hose! Weg damit. Aber sofort! So könne sich doch keiner konzentrieren. Die Souffleuse musste sich im Sauseschritt umziehen gehen. Egal ob man bei Peymann als Schauspieler drei Sätze zu sagen oder nur einen Krächzer als Papagei im Off abzugeben hatte, man musste daueranwesend sein. Bei jeder Probe und bis zum Applaus nach der Vorstellung.

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Radikale Theaterliebe und Tyrannentum

Die 92-jährige Bibiana Zeller hat ein riesiges Foto eines diabolisch lachenden Peymann in ihrem Wohnzimmer prangen – obwohl sie mit ihm Qualen durchmachen musste. Sie sei oft weinend auf die Toilette geflüchtet, habe dort „gespieben“ und gezittert. Aber er sei bei der Arbeit so weit „in meine Seele gedrungen“ wie kein anderer Regisseur. Und er war „so wahnsinnig lustig“. 

Radikale Theaterliebe und Tyrannentum liegen oft nur eine Handbreit auseinander. Zumindest in der Generation der Nachkriegs-Regiegiganten wie Peter Zadek, Peter Stein und eben Claus Peymann. „Da waren schon Kaliber am Zug, ehe die Wollmützchenträger einfielen“, so der Theaterverrückte Harald Schmidt, der sich damit auf die nicht mehr ganz so junge Postdramatiker-Riege bezieht. In Bernhards „Holzfällen“ heißt es über Peymann: „ein Theaterberserker, ein elementarer Theatermensch“.

Exzessiver Mailverkehr über hässlichen Stuhl

Ich hatte ihn in seiner Besessenheit zweimal beim Schwimmenden Salon in Bad Vöslau erlebt. Ich wünschte mir, dass er „Holzfällen“ vorliest. Was heißt wünschte, ich winselte. Bis es endlich dazu kam, bin ich im schnellen Vorlauf gealtert. Seine Assistentinnen verlangten Fotos von den Frühstücksräumen diverser Hotels, bis eines des Meisters Gnade gefunden hatte. Zwei Tage vor der „Premiere“ ließ er mir ein Foto des hässlichsten Stuhls aller Zeiten schicken. Genau so einen möchte er auf der Bühne. Und keine Wider­rede, es sei „spielentscheidend“, ließ man mich wissen.

Wir fanden nach exzessivem Mailverkehr dann einen anderen, ebenbürtig hässlichen Stuhl. „Können Sie hier dieses Wassergeplätscher abdrehen?“, fragte er bei der Tonprobe im Bad, es würde ihn wahnsinnig nerven: „So kann ich nicht arbeiten!“ – „Herr Peymann, das ist eine Quelle, die seit Jahrtausenden so klingt.“ – „Ach, hören Sie mir auf mit dem Kitsch!“

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Situationselastizitäts-Arabesken

Seinen mitgebrachten Dramaturgen behandelte er so, dass man bei der Helsinki-Föderation für Menschenrechte durchklingeln wollte. Meine Gebete gehen hinaus zu den „Josefstädtern“, die mit Sicherheit vor der Premiere Situationselastizitäts-Arabesken schlagen mussten. Ich fragte den mitgebrachten Dramaturgen damals, wie man diesen harschen Kommandodruck auf Dauer überhaupt ertragen könne. „Weil du Peymann nachts um drei anrufen kannst, wenn du eine Frage zu einem Beistrich im Text hast“, sagte der grau-blasse Mann. „Ich kenne keinen, der das Theater mit solcher Schonungslosigkeit – auch gegen sich selbst – liebt wie er.“

Ich werde in die Premiere des Josefstädter „Mittagstisches“ pilgern wie in eine ­Kathedrale. Man verzeiht ihm alles, wenn man an diese fantastischen Jahre an der Burg zurückdenkt. Schauspieler wie Voss, Dene, Schwab, Kirchner brachte er zum Blühen wie kein anderer. Bernhard sei „ein echtes A*****och gewesen“, erzählte „der Peymann“, wie ihn sein Hofstaat nennt, damals. Und fügt hinzu: „Aber wir vom Theater, wir sind prinzipiell nicht nett. Nett sind die bei der Bank und bei der Versicherung.“

Ich habe noch nie einen Künstler gesehen, der solche Lampenfieber-Wallungen vor seinem Auftritt hatte wie Peymann. Bernhard hatte in „Holzfällen“ geschrieben, dass es „niemals einen Lieblingsburgtheaterdirektor“ gegeben habe, immer nur „Lieblingsburgschauspieler“. Da muss man ihm in diesem Fall entschieden widersprechen.

Zur Kolumnistin
Angelika Hager, 57
, leitet das Gesell­schaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“, ist die Frau hinter dem Kolumnen-­Pseudo­nym Polly Adler im ­„Kurier“ und ­gestaltet das Theaterfestival Schwimmender Salon im Thermalbad Bad Vöslau. 

Was: „Der deutsche Mittagstisch“
Wann: ab 17. September, 19.30 Uhr
Wo: Theater in der Josefstadt
Karten: Josefstadt.org