BÜHNE: Morgen ist Premiere von „Sex, Drugs & Budd'n'brooks" in Hamburg. Wie lange habt ihr geprobt und wie war die Probenarbeit für euch?

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Teresa Löfberg: Es gab zwar Gespräche in Wien, aber geprobt haben wir nur in Hamburg. Bei etwas über drei Wochen Probenzeit war das Programm sehr dicht. Dazu kam, dass wir das Stück ja in einem Bunker spielen und im Vorfeld deshalb sehr viel Zeit dort verbracht haben. Das hat dazu geführt, dass wir uns noch mehr eingebunkert haben als das ohnehin bei Proben der Fall ist. Geprobt haben wir auch deshalb nur in Hamburg, weil der Ort bei unseren Stücken immer eine zentrale Rolle spielt und viele Dinge erst während der Proben vor Ort entstehen. Das war auch bei „Sex, Drugs & Budd'n'brooks“ so. In der letzten Probenwoche haben wir das ganze Stück noch einmal zerhackt und neu zusammengesetzt, weil sich viele Dinge erst nach und nach ergeben haben.  

Verändern sich die Stücke auch während der Aufführungszeit noch?

Ja, sie verändern sich vom ersten Probentag bis zur letzten Aufführung. Das ist bei uns sehr viel stärker ausgeprägt als bei nicht-immersiven Stücken. Durch das Spiel mit dem Publikum, das bei uns meistens ab der Hauptprobe dabei ist, gibt es fortwährend Veränderungen. Wie extrem diese Veränderungen ausfallen, hängt auch von den Spieler:innen ab – manche bleiben eher bei dem, wie es bei der Premiere war, andere probieren immer wieder neue Dinge aus.

Wie kam es denn zur Zusammenarbeit mit dem Sommerfestival Kampnagel?

Wir haben im vergangenen Jahr schon ein Stück mit dem Sommerfestival Kampnagel gemacht, den Willy-Brandt-Test. Der Kontakt kam ursprünglich über das brut, das auch eng mit dem Kampnagel verbunden ist.

Spielstätte ist der Hamburger Club „Übel & Gefährlich".

Foto: Maximilian Probst

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Die Zeit zurückspulen


Wir haben ja bereits kurz über das „Übel & Gefährlich", die Location für euer aktuelles Stück, gesprochen. Was ist bei euch grundsätzlich zuerst da, das Thema oder der Ort?

Meistens ist es das Thema. So war das auch bei „Sex, Drugs & Budd'n'brooks“, das im Rotlichtmilieu spielt. Locations kamen zunächst mehrere in Frage, wichtig war uns, dass wir das Stück in der Gegend rund um St. Pauli zeigen. Der Bunker war ein Glücksgriff, weil er groß genug ist und genügend verschiedene Räume hat, aber auch gut zum Inhalt passt. Ich erinnere mich noch gut daran, dass Andrea Konrad, unsere Ausstatterin, bei der ersten Begehung fast geweint hat, weil sie meinte, dass die Räumlichkeiten so perfekt sind, dass es kaum etwas gibt, das sie daran ändern würde. Sie hatte dann aber trotzdem noch einiges zu tun (lacht).

Wer an die Buddenbrooks denkt, hat vermutlich sofort das Bild eines richtig dicken Wälzers im Kopf. Ist euer Stück eine Fortschreibung dieses Textes?

Es ist eine Fortschreibung, gleichzeitig aber auch eine Wiederholung. Ich würde das deshalb so beschreiben, weil die Figuren des Romans auch unsere Figuren sind, wir sie allerdings in eine andere Zeit versetzt haben. Der Roman passt auch deshalb gut, weil sich unsere Geschichten ja immer um die Familie Nesterval drehen und es bei Thomas Mann um den Niedergang einer reichen Kaufmannsfamilie geht.

Darüber hinaus hat uns auch die Frage nach der Schicksalhaftigkeit des Lebens interessiert. Es gibt im Stück ein Zitat von Toni Nesterval, das diese Fragestellung gut zusammenfasst: „Es ist so traurig, dass man nur einmal lebt, dass man das Leben nicht noch einmal anfangen kann; man würde so manches g‘schickter anfassen.“ Damit spielen wir auch im Stück, weil wir verschiedene Varianten anbieten. Im realen Leben kann man die Zeit nicht zurückspulen, im Theater ist das aber schon möglich. So wie wir Theater verstehen, gibt es immer die Möglichkeit, sich verschiedene Entscheidungswege anzusehen.

Ab Februar ist „Sex, Drugs & Budd'n'brooks" auch in Wien zu sehen.

Foto: Maximilian Probst

Spieltrieb

Welche anderen Themen spielen eine wichtige Rolle?

Das Stück beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema Turbokapitalismus in Verbindung mit der Vergnügungsindustrie. Es ist erschütternd, wie leicht sich die Mechanismen des Wirtschaftens, wie sie in den Buddenbrooks beschrieben werden, auf den Handel mit Sex umlegen lassen. Das wird einem erst dann so richtig bewusst, wenn es nicht um einen Sack Weizen, sondern um ein Menschenleben geht.

Inwiefern ist bei diesem Stück der Ausgang vom Publikum abhängig?

Sehr (lacht). Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es liegt zu hundert Prozent in den Händen des Publikums, wie das Stück ausgeht.

Je mehr man in unsere Stücke hineinsteckt, desto mehr bekommt man heraus."

Teresa Löfberg

Euch ist wichtig, dass die Zuschauer:innen selbst aktiv werden. Gab es schon mal eine Produktion, bei der ihr euch Sorgen gemacht habt, dass das nicht oder zu wenig passiert?

Das schwingt immer mit. Aber ich würde es eher Aufregung oder Nervosität nennen. Und das wird natürlich vor allem dann spannend, wenn man nicht in der eigenen Stadt spielt. In Wien ist ein großer Anteil unseres Publikums Stammpublikum. Wir können unseren Zuschauer:innen also relativ viel zumuten. Mit dieser Überforderung möchten wir aber auch immer spielen. Wir gehen davon aus, dass die Zuschauer:innen überfordert sind, versuchen die Stücke aber trotzdem niederschwellig zu halten. Vor allem den Einstieg, damit das Publikum eine Chance hat, sich darauf einzulassen.

Wie ausgeprägt muss der eigene Spieltrieb sein, um in eure Welten eintauchen zu können? Oder haben die meisten Menschen ohnehin einen stärkeren Spieltrieb als sie denken?

Davon bin ich überzeugt, obwohl es natürlich auch eine Charakterfrage ist. Aber man muss wirklich schon sehr stur sein, wenn man sich so gar nicht darauf einlassen möchte. Was wir bei „Sex, Drugs & Budd'n'brooks" nicht haben, bei einigen anderen Stücken von uns aber schon, ist eine Wettbewerbssituation. Da ist die Motivation immer am größten. Es ist anscheinend eine tief verwurzelte Eigenschaft des Menschen, gewinnen zu wollen. Letztendlich gilt: Je mehr man in unsere Stücke hineinsteckt, desto mehr bekommt man heraus.

Das Theaterensemble Nesterval hat die Geschichte der Buddenbrooks ins Hamburger Rotlichtviertel übertragen.

Foto: Maximilian Probst

Kinder unserer Zeit

Im Vergleich zu Großbritannien ist immersives Theater in Österreich noch nicht so weit verbreitet. Merkst du, dass sich in diese Richtung etwas tut?

Man darf nicht vergessen, dass das Genre in Großbritannien schon wesentlich älter ist. Aber wir bemerken, dass sich auch im deutschsprachigen Raum etwas tut. Das könnte unter anderem daran liegen, wie sich der Medienkonsum vieler Menschen in den letzten Jahren verändert hat. Man stellt sich sein Programm selbst zusammen, ist nicht mehr vom Fernsehprogramm abhängig. Das ist unserer Art Theater zu machen sehr ähnlich. In gewisser Weise sind wir also Kinder unserer Zeit. Dass wir mit Nesterval relativ früh dran waren, kann vermutlich auch darauf zurückgeführt werden, dass das Ganze nicht am Reißbrett entstanden ist, sondern aus einer spontanen Idee heraus, die sich dann verselbstständigt hat.

Wie geht es bei euch nach Hamburg weiter?

Im Februar holen wir das Stück nach Wien, werden es aber nochmals bearbeiten, denn wir wollen nicht so tun als würden wir gerade in St. Pauli spielen, wenn wir eigentlich in Wien sind. Dazwischen steht für uns noch eine von Agatha Christie inspirierte Bootsfahrt gemeinsam mit dem Unikum Klagenfurt am Programm. Diese wird Ende September in der Nähe von Grado stattfinden.

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